Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Erinnerungen…
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Gleich an meinem ersten Tag wurde ich von meiner Euphorie derart fortgerissen, dass ich sogar bis zum zwei Kilometer entfernten Märtyrer-Denkmal marschierte, das den Opfern der Tigray-Befreiungsbewegung gewidmet ist.
Erst kämpften sie gegen Haile Selassie, den Gottgleichen, und als der karrieremäßig nicht mehr zur Verfügung stand, waren die DERG mehr als entzückt und motiviert, für ihn in die Bresche zu springen, denn sie liebten niemanden außer sich selbst. Nun, solange es noch Niemanden gab.
Von weitem sah das Ding aus wie das universale Sende- und Empfangsgerät eines verrückten Wissenschaftlers, der versucht, mit den Klingonen Kontakt aufzunehmen (oder wie ein Golfball kurz vor dem Abschlag, aber den Ausdruck hat mir der Lonely Planet geklaut beziehungsweise kam mir zuvor, was beileibe nicht charmanter ist).
Aber ich kann noch einen draufsetzen: wie ein Golfball kurz vor dem Abschlag, in einem Spiel, das von kosmischen Gottheiten und Titanen einst gespielt wurde, um das Leben auf den Welten neu auszuwürfeln. Nimm das, Bitch!
Von nahem aber wurde ich ehrlich ergriffen, denn das kuriose Monstrum mit seinen zahlreichen wie sonderbaren Symboliken wurde flankiert von zwei Reihen übermannsgroßer Statuen, die mich in ihrer Reinheit, in den simplen und daher unmissverständlich, ja schmerzhaft klaren Posen tief bewegten.
…Habe ich das wirklich geschrieben? – Scheiße, ich klinge wie ein abgehalfterter Auktionshändler, dem das aristokratisierte Hirngeschwür aus dem Ohrenschmalz quillt.
Aber so war es: der alte Mann, der seine gebrochene Ehefrau in Armen hielt; Mutter und Sohn, die sich angsterfüllt an den Vater klammerten.
Aber leider und wahrscheinlich unausweichlich geht es auch nicht ohne einen sauren Schlagobers aus verherrlichtem, bewaffneten Widerstand, der einem nach ein paar Jahrzehnten des aufgezwungenen Kampfes wohl in die Knochen sickern muss wie WD40 ins mechanische Getriebe der Welt.
Denn beschützt und angeführt wurden die Opfer des Krieges von mutigen Kämpfern mit Gewehr und Panzerfaust, die in Wirklichkeit eben genau dafür verantwortlich waren, dass es diese überhaupt gab. Aber das konnten sie nicht wahrhaben wollen und hielten den Blick stattdessen dumpf und starr nach vorne gerichtet in eine verdunkelte, ungewisse Zukunft.
Grad, dass das Kleinkind, dass da weinend über seinen toten Vater krabbelte, keine Handgranate in seiner freien Hand halten musste.
Wenn Euch das noch nicht reicht, im zugehörigen Museum unter dem Hügel über der Stadt gab es eine massenhafte Aus- und Zurschaustellung von Hunderten von Zeitzeugenbildern, die dem Besucher wohl eintrichtern sollen, dass es dabei ganz normale und rechtschaffene Bürger oder gar Menschen waren, die sich da gegenseitig abschlachteten. Dass Krieg normal sei.
Was der deprimierenden Wahrheit deswegen nicht weniger nahe kommt oder geht.
Zahlreiche Vitrinen gab es, von der bescheidenen Pistole bis zur ausgewachsenen Panzerfaust; eine ganze Edition an Maschinengewehren prangte da unter dem Glas, was mich auf eine morbide Art und Weise faszinierte und gebannt hielt, gerade weil ich Waffen entschieden ablehne und eigentlich davon nichts wissen will. Doch.
Eigentlich war ich bereits auch zu müde für diesen schwarz-weißen Überschwang an Eindrücken, und ich verfluchte mich schon, überhaupt einen Fuß darein gesetzt zu haben. Doch es war zu spät, dazu war es dann doch zu interessant, um ignorant wieder umzukehren.
Auch eine Sammlung, aus heutiger Sicht antik und klobig anmutenden Kommunikationsgeräten teilte sich einen Bereich mit dem, was man sonst noch so im Kampfesalltag gebrauchen kann, weil essen muss der Freiheitswillige ja auch.
Aber gerade die Fibeln von Marx, Engels und Lenin zur ideologischen Untermauerung und Verklärung mussten der kommunistischen Terror-Regierung da ja ganz besonders sauer aufgestoßen sein, nicht wahr. Ihr erinnert Euch an Awra Amba?
Jesses. Bei den DERG scheint es sich wirklich und wahrhaftig um das schreiendste und darüber hinaus dümmlichste Beispiel an ideologischer Perversion und damit einhergehender Verkehrung in ein krankhaft absurdes Gegenteil gehandelt zu haben.
Mehr noch als die Statuen weiter oben berührten mich allerdings die Gemälde in einer unscheinbaren Ecke jenes seltsam futuristischen Gebäudes, die ohne groß triefende Worte für sich selbst sprachen und eigentlich als Glanzstücke auf ein Podest in die Mitte der ganzen Ausstellung gehört hätten.
Vielleicht ist es aber auch besser so. Es ist schön, etwas derart Ergreifendes praktisch beiläufig und wie durch Zufall zu entdecken; fast wäre man daran vorbeigehastet.
Ähnlich wie der Todesengel, der die schlafende Seele des Verstorbenen in der Eremitage in Petersburg sanft aus seinem Körper hob, waren es auch dort gerade die dunklen, ominösen und apokalyptischen Darstellungen, die mich aus irgendeinem Grunde am meisten in ihren Bann zogen, der weiter zu reichen schien als dieses eine Leben.
In diesem Jahr wurde zudem das vierzigjährige Jubiläum und der Sieg der Freiheitsbewegung gefeiert, weshalb sogar auf einer Bergspitze hoch über Mekelle das überlebensgroße Bildnis von Menes Zelawi aufgestellt war, ihres größten und schillerndsten Anführers. Das konnte ich im übrigen ganz bequem von meinem Wachtposten im Blue Café aus sehen.
Er war es auch, der nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und damit auch der DERG, da ihnen ja mir nichts, dir nichts der materielle Nachschubboden entzogen wurde, das Land auf den – wie überall – arg schleichenden Weg der Demokratie brachte. Oder was man dafür halten mag.
Zelawi war auch der Präsident seiner ersten Regierung, die sich auch heute noch, vorsichtig und argwöhnisch wie Grima Schlangenzunge, um ihr eigenes Schicksal schlängelt.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht