Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Ich bin ein Baum…
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Ganz voll und satt mit all diesen Bildern setzte ich mich in den Nachtbus nach Puerto Escondido, um nach geraumer Zeit endlich wieder einmal einen vollkommen neuen und unbekannten Ort zu entdecken: den „verborgenen Hafen“.
Jedoch widerfuhr ihm das gleiche Schicksal wie so vielen geheimen Orten, die zähneklappernd versuchten, sich vor dem erbarmungslosen Auge des modernen Menschen zu verstecken, und aber unweigerlich seiner Wissbegier preisgegeben und mit ruchloser Gewalt von ihm entzaubert worden sind. Das werdet Ihr schon noch sehen.
Trotz alledem und der Sorge davor, die unterschwellig an der Innenseite meines Hinterkopfes nagte, erfreute mich nicht nur der Anblick des Pazifischen Meeres am kommenden Morgen, sondern auch die Vorstellung, dass ich bald drei amüsante und umgängliche Burschen aus San Mateo wiedersehen würde.
Ihr seht, es ging nahtlos und genauso unverhofft weiter wie mit Petra in Oaxaca.
Die waren eben am Tag zuvor dort eingetroffen, nachdem sie sechs Tage lang aus den Bergen hinunter in Richtung Küste gewandert waren. Das gefiel mir allerliebst und entzückend, und ich konnte ja nicht ahnen, dass ich mich da in ein ausgemachtes Hornissennest setzen sollte.
Aber immer mit der Ruhe.
Auf den ersten Blick war ich von dem Kaff nicht sonderlich beeindruckt. Es wirkte auf mich wie die logische Erweiterung einer zwielichtigen Hafenspelunke, die sich den Anschein von Bürgerlichkeit und Gewöhnlichkeit gab.
Das war aber auch gemein, denn klammheimlich, ohne dass ich es wollte oder kommen sah, hatte sich mit der Vorfreude in mir auch das romantisierte Bild von niedlichen Bambushütten eingenistet, unter einem Dach von hohen und schlanken Kokosnusspalmen, deren fraktales Blätterdach gemächlich im Onshore-Wind säuselt wie ein versonnener Münchner im Aumeister-Biergarten.
Aber so war das da halt nicht.
Dennoch, die Wiedersehensfreude war groß und klebte zwischen unseren Körpern wie der Schweiß in der schon drückenden Hitze des anbrechenden Tages, als wir uns endlich in den Armen lagen in ihrer dramatisch nüchternen und rustikalen Unterkunft.
Immerhin, sie hatten direkten Zugang zu ihrem eigenen kleinen Privatstrand, und das konnten dort nicht viele von sich behaupten.
Nichtsdestotrotz entschied ich mich für eine andere Bleibe, etwas weiter hinten vom Strand, da ich bei aller Freude das Gefühl hatte, meinen Tanzbereich schützen zu wollen. Darüber hinaus wünschte ich mir ein biiisschen mehr Komfort.
Zum Beispiel so etwas wie die Idee von sauberen Wänden und eine Toilette, die nicht aussah, als ob sie soeben aus einer anderen Dimension hierher gedonnert wurde und noch gar nicht ganz da war, bis an die Schüssel bewaffnet mit grauenerregenden Konstruktionsfehlern.
Mir klingt das selbst komisch in den Ohren, wenn ich bedenke, in was für Ratzenlöchern ich in der Vergangenheit schon gehaust habe, aber so ändern sich die Dinge und wahrscheinlich gerade deswegen.
Einer von den dreien konnte seine eigene Freude gar nicht so zeigen, da er zwar einigermaßen sanft, aber doch bestimmt und unnachgiebig vom Besitzer der Schabracke aus dem Schlaf gerissen wurde, bevor ich ihn noch daran hindern konnte.
Nachtbusfahrten tragen mithin nicht dazu bei, dass sich meine geistige Schlagfertigkeit und Gewandtheit aus ihren spinnennetzartigen Hängematten bequemt und ihre ewige Siesta unterbrechen würde. – Wieso auch? In manchen Situationen mag einem das vielleicht nützlich erscheinen, aber meistens endigt sich das doch nur in einer sinnlosen Verschwendung von kostbarer Zeit und Energie.
Aber die sind da rücksichtslos in solchen Ländern, wenn das Wohl des Einzelnen mit dem altvorderen Brauchtums der Gastfreundschaft kollidiert; verquickt und verquirlt mit der Aussicht auf ein wenig zusätzliche Kohle, indem er sich mir selbst als ehrerbietig erwies, zweifellos.
Aber in dem Fall hatte er sich bei mir da leider geschnitten, denn ich hatte noch immer dieses nervenaufreibende Bild von einem absolut friedlichen und verzauberten Rückzugsort in meinem Kopf, so dass ich tatsächlich noch einige Anstrengungen unternahm, die Außenbezirke von Puerto nach kuschligeren Posadas zu erkunden.
Doch jene strategischen Aufklärungsmissionen verliefen sich zwischen meinen Zehen im Sand, denn entweder war mir der Vibe zu schräg, die Unterkunft zu teuer, das Viertel darum herum zu touristisch, und was man noch so erfindet, um mit seiner unbeweisbaren Intuition ins Reine zu kommen.
So dass ich am Ende mit einem erschöpften und zufriedenen Schnalzen feststellte, dass mir das scheinbar ominöse Hafenspelunkenviertel im Ortskern mit Abstand doch am besten gefiel und dergestalt nach zwei, drei Stunden heimkehrte wie der verlorene Sohn, mit Dreck verkrustet und mit Blasen an den Füßen, gezeichnet von der Mühsal und meinen schweren Prüfungen.
Es schien mir einfach das interessanteste Quartier zu sein, weil sich dort alles irgendwie mischte. An der langen Promenade mit ihren furchtbar weltlichen Cafés, den überladenen Souvenirläden und Restaurants begegneten sich einheimische wie fremdländische Touristen, und vielleicht schwammen sogar ein paar Locals in der Menge oder das eine oder andere Pärchen beim Turteln und sich Necken.
Wir alle tranken ein- oder zweimütig unsere Eiskaffees und doppelplussüßen Licuados, verzehrten saftige Burger, bodenständige Tlayudas und Pancakes, je nach Fasson und Tageszeit. Erst nach Einbruch der Nacht aber wurde die Straße richtig lebendig, denn dann drehten die zahlreichen Schmuck- und Klamottenstände ihre noch zahlreicheren Lampen und Strahler an.
Diese richteten sie in der Folge ganz unbarmherzig auf ihre Waren, die nackt und enteignet auf dem Altar des Konsums geopfert wurden.
Aber es war dadurch eine hübsche Atmosphäre, ein kleines bisschen magisch mit diesem betörenden Duft des Meeres, der mit der Abendbrise sanft hereinstrich.
All das erinnerte mich an diese fantastischen Straßenmärkte in Chiang Mai, und wieder einmal fuhr mir heiß das Messer der Reminiszenz und Zeitweh zwischen die Rippen und brachte meinen Atem zum Stocken.
Nachdem ich mich jedoch davon erholt hatte, lehnte ich mich erneut und genüsslich schnalzend auf meiner Parkbank zurück und genoss das kurzweilige Schauspiel des Lebens vor meinen Augen.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht