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Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Chiller of Life…
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Robel

Meist waren wir zu viert unterwegs. Da gab es noch Robel, den lustigen und allseits verplanten Ziehsohn der Besitzerin vom Circle of Life. Dann kamen Dario, Elvis und ich.
Jesses. Zu Beginn beteiligte ich mich noch rege an ihren absurden Unterhaltungen, aber mit der Zeit zog ich mich immer mehr in mich selbst zurück und schwamm seicht im plätschernden Gewässer ihrer maschinengewehrartigen Balladen.

Ihrem immensen Kommunikationsdrang war beileibe nicht leicht beizukommen – eigentlich war es unmöglich. Dario sabbelte ständig irgend etwas in tausendfach gebrochenem Englisch vor sich hin, bis er, Mamma mia!, mich auf einmal mit einem durchdringenden Blick fixierte.

Versunken

Dann wurde mir schlagartig bewusst, dass er sich die ganze Zeit mit mir unterhalten hatte! Sogleich versuchte ich, eine einigermaßen souveräne Allerweltsantwort zu produzieren, die theoretisch auf alle möglichen Zusammenhänge passt, um zu verschleiern, dass ich die letzten Minuten aber so rein gar nicht aufgepasst hatte.

Aber der hätte das auch nicht gemerkt. Der war auf einem ganz anderen Film.
Der war so in seinem eigenen Universum unterwegs, dass jedwede Kommunikation allein hinsichtlich der Redezeit bereits schwierig wurde, da er einem sehr eigenwilligen Sprechrhythmus folgte. Ein Talking Stick wäre da nicht verkehrt gewesen.

Gegenüber

Immer, wenn man meinte, oke jetzt ist er fertig, und man sich schon der sorgsam und minutiös vorbereiteten Antwort entledigen wollte, da fing der wieder an, weiterzureden! Wahrscheinlich, weil in dem Moment irgendwo in seinem Betriebssystem etwas unhörbar „Klick“ gemacht hatte.

Das ging locker fünf- bis sechsmal so, oder zumindest so lange, bis man die eigene Antwort schon wieder vergessen hatte.
Ja, Dario war so sehr in seinen eigenen, bloßgelegten Gedankengängen verheddert, dass es niemals in sein Bewusstsein dringen hätte können, dass sein Gegenüber bis dahin mindestens zehnmal versucht hatte, zu einer Entgegnung anzusetzen.

Schweigen

Eher erzieht man einen indischen Patriarchen zu einem glühenden Feministen, welcher sich nicht daran stört, während eines Cricket-Matches und mitten unter seinen mit Testosteronwasser aus dem Ganges beträufelten Kumpanen ob der abscheulichen Gewalt gegen Frauen das Weinen anzufangen.

Wenn er dann wirklich fertig war, sagte erst einmal niemand etwas, einfach weil man damit schon gar nicht mehr gerechnet hatte. Stattdessen folgten einige Augenblicke verwirrten Schweigens.

Eifer

Aber derartige Momente waren nur von kurzer Dauer, eine Sekunde nur im Leben einer Eintagsfliege, denn Elvis sprang nur zu gerne in die Bresche (er sprang wortwörtlich) und fuchtelte schon ganz aufgeregt mit seinen dürren Ärmchen, als Dario noch voll im Gange war.

Dann überschnitten sich die beiden wie zwei Störsender, wobei Elvis am Ende meist den kürzeren zog. Schuld daran war die Tatsache, dass seine Bewusstseinssphäre am Ende doch über die eigene Großhirnrinde hinausreichte und er die Welt in einem etwas anderen Lichte sah.

Umrunden

Doch war das keine geringe Leistung Darios, weil, bei Elvis ist das nämlich so: der atmet beim Reden.
Versteht Ihr? Der kam schon vom Hundertsten ins Tausendste, noch bevor die Luft, die eben an seinen Stimmritzen sanft vorbeistrich, deren Schwingungen in verständliche Laute zu malen vermochte.

Elvis umrundet einmal hüpfend und feixend die Welt, während man selbst sich eben erst die Zahnbürste in die belegte Zunge gewickelt hat. Dabei wird er immer ausladender und seine Stimme immer durchdringender, wie ein Vulkan, gefangen in einem Spasmus von ewigem Erbrechen.

Zelt abbrechen

Aber wenn seine Geschichte stimmt, hat er auch einiges durch, was seinen Rededrang nicht nur erklärt, sondern in diesem Sinne vielleicht sogar eine Art Therapie darstellt.
Die Geschichte geht nämlich so, dass er in Burundi Journalist (sehr passend) und politischer Aktivist (vielleicht, sofern er nicht wie im Circle die ganze Zeit gekifft hat) war, zusammen und hübsch verpackt mit Frau und Kind.

Aufgrund seines zu forschen Reporterdrangs jedoch musste er das Land fliehen, ebenso wie seine Genossen, sie stoben in alle Richtungen davon wie Fliegen, die der Klatsche gerade so mit heiler Haut entkommen waren.

Exil

Über Irrwege und Fährnisse und bemerkenswerte Begebenheiten mit Polizei, Huren und Henkern – wo ich mich wundern würde, wenn da als Ausgleich, mit Verlaub, nicht ein bisschen aufgeschnitten und gebläht wurde – gelangte er schließlich in sein äthiopisches Exil nach Awassa; offiziell mit einem „H“ am Anfang, aber das wird sowieso nicht gesprochen, also was bringt’s?

Ich meine, lest Euch doch nur meine Ungeheuerlichkeiten durch. Die sind manches Mal so verzerrt und so verfremdet, dass ich mich dann irgendwann selber frage, wer denn dieser komische Kauz auf all den Fotos sei. Vollkommen verrückt natürlich, aber ein gestandener Prachtskerl muss das schon sein, heureka!

Nachbarschaft

Jedenfalls, die hiesigen Behörden nahmen ihn freundlich auf, so dass er ein wenig durchschnaufen konnte. Seit etwa drei Wochen war er nun schon dort und kannte bereits jeden in der weiteren Nachbarschaft: die Leinen waren ausgeworfen.
Einem Touri hatte er dergestalt angeblich sogar sein Smartphone wieder beschafft, nachdem es ihm abends am See geklaut worden war.

Einfach, weil er mit einem seiner Kontakte ein wenig tuschelte, der einen kannte, dessen Bruder mit seinem Schwager äääh… und so weiter.
Persönlich scheint sein Verhältnis zu Äthiopien eher zwiegespalten, was der Wahrheit mitunter vielleicht am Nächsten kommen mag.

Rosa Scheuklappen

Im einen Moment pries er die Gastfreundschaft, die legere Einstellung der Behörden und das Essen, und im nächsten führte er sich, ohne mit der Wimper zu zucken, rechtschaffen auf im Hinblick auf ihre allgemeine Unfähigkeit, ihre Verbohrtheit und was nicht alles.

Verhalten

Das alles war ihm zudem wohl bewusst, dennoch sah er darin keinen Widerspruch. Macht ja auch Sinn, immerhin handelt es sich hierbei um einen der kniffligsten Kernpunkte unseres menschlichen Daseins. Wenn er das wirklich so nebeneinander stellen kann ohne dabei heiser das Lachen anzufangen, so zolle ich ihm hiermit meinen tiefsten und aufrichtigen Respekt.

Weil alles andere führt tatsächlich zu einer verschobenen Wahrnehmung: der berüchtigten rosa Brille oder schwarzen Scheuklappen im andern Fall, und so wie ich ihn in derartigen Momenten erlebte, kaufte ich ihm das sogar ab.

Nun war er eben dort, durfte aufgrund seines prekären Status und der Großherzigkeit der Betreiber umsonst im Circle of Life übernachten und ließ sich von gutmütigen Mäzenen wie Dario, Robel und mir verhalten. Immerhin, nach seiner Flucht stand er praktisch mittellos da.

 

Gesellschaft

Zwiespalter

 

 

 

 

 

 

Grünes Obdach

Unterwegs

Therapie

 

 

 

 

 

 

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