Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Widerstand ist…
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Als ich mir noch Sorgen machte, dass ich nach Fäulnis und Verwesung stinken müsse, bogen wir auch schon in einen recht hübschen Innenhof ein, umgeben von Wohnblocks und einigen Bäumen. Und dann ging es los:
„Privet! Privet! Torsten, nice to meet you. Hello, privet, Torsten. – Torsten. Ah? No, TORSTEN. Yes, nice to meet you, too. Hello….“ Händeschütteln und furchtloses Betongrinsen, nur nicht nachlassen.
Meine größte Hoffnung war, dass ich ihnen vor Erschöpfung nicht auf den Teppich kotzte. – Das ist kein Witz! Mir ist das wirklich schon mal passiert, allerdings wurde die Schwäche dazumal von zahlreichen Schnäpsen induziert, im Verlaufe einer hochheiligen schwäbischen Institution, die sich „Christbaumgschauben“ oder auch „Christbaumloben“ nennt. Ye be warned.
Wie ein tragischer Held saß ich also auf einem Stuhl, knabberte tapfer und um Anerkennung heischend an einigen Oliven und Salatblättern, schlürfte Buchweizeneintopf, während Arnold nur hilfesuchend dreinschaute.
(Wir hatten diesbezüglich in der Zwischenzeit ein ausgeklügeltes System entwickelt, nach dem immer derjenige, der noch immer über mehr Energie als absolut Null verfügte, solange als möglich zu sozialisieren hatte, um dem anderen einen möglichst großzügigen Zeitpuffer zu bieten und wieder zu Kräften zu kommen.
An dem Abend war ich leider als Erster dran.)
Im Grunde war es eine WG-Party wie jede andere auch, hätte auch in München sein können: mitgebrachtes Essen, Bier, Wein und jaaa – auch Vodka. Aber nicht ausschließlich und hauptsächlich, wie alle immer meinen. Ich denke, sie schmissen -lediglich für uns- zwischendurch zwei, drei Runden ein, um das Klischee zu wahren.
Ich kam mir vor wie auf einem improvisierten Erasmus-Treffen. Da wurde Englisch, Spanisch, Französisch, ja, sogar ein bisschen Deutsch und selbstverständlich „Rrrusski“ gesprochen. Zwar quälten wir uns zu Beginn und stotterten kopflos umeinander, aber mit der Zeit (und jeder Schnapsrunde) groovten wir uns immer mehr ein.
Es ist wirklich alles reine Kopfsache.
Als eine hübsche Rothaarige und neben ihr ein Hipster (viel zu viele Namen) jedoch das Thema „Kinofilme“ anschnitten, gab es für mich natürlich kein Halten mehr.
Alle Müdigkeit war vergessen, meine Augen versprühten Sterne und Funken wie eine Silvesterrakete, und meine Gedanken waren Leuchtfeuer in der Dunkelheit!
Ab dem Zeitpunkt hätte ich ewig so weitermachen können, denn ich befand mich weit jenseits von meinem Alltagsbewusstsein. Selbst meine Erschöpfung war irgendwann erschöpft.
…So ähnlich muss sich Gautama im Moment seiner Erleuchtung gefühlt haben.
Und kann es nicht als die höchste Kunst des Feierns gelten, sich genau an diesen Punkt, vorsichtig und auf verschlungenen Wegen, anzuschleichen, ihn heimlich anzusteuern, grade so wie ein erfahrener Seemann um geliebt und gehasste Untiefen herum manövriert –
um dann abgepasst und im richtigen Moment! seinen Körper vollständig zu überrumpeln und mit einem beherzten und gekonnten Satz über die eigene Konstitution hinweg zu springen?
Nicht nur das. Ich meine, das dies auch die Essenz und das Kernstück einer jedwed gearteten Spiritualität sein muss.
Aber Murphy kam auch zur Party, und so wurde mein metaphysischer Höhepunkt noch in seinem Vollzug gefällt und erschlagen, da wir uns zehn Minuten später von unseren Gastgebern verabschiedeten und nach Hause gingen.
Als ich um ein Uhr morgens schließlich unter der Dusche stand und in einem weiteren Orgasmus eine zentimeterdicke Patina aus Dreck, Schweiß sowie allen Sünden der Welt von meinem Körper wusch, konnte ich immer noch nicht glauben, dass dieser Tag wirklich geschehen war. – Leider hatten wir keine Gläser an die Wand geworfen.
…Ihr werdet jetzt sicher denken: „Na, kein Wunder, dass die immer so fertig sind! Selber schuld!“ – Ha, meine lieben Freunde, so einfach ist die Sache nicht!
Erstens, war das unsere erste richtige Feier in Russland und somit ein immens wichtiger, quasi unabdingbarer Baustein zum kulturellen und emotionalen Verständnis der russischen Seele. Und ZWEITENS… ach zefix.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht