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Tummeln

Dementsprechend guter Dinge fuhr ich am darauf folgenden Tag zum Meskel Square, jener riesigen Freifläche im Herzen der Stadt, umspannt von ihren zwei Metrolinien und ein Tummelplatz für Life Balance-Workout und Taschendiebe.

Auf dem Weg zum Africa Park blieb ich kurz an einer Kirche stehen, überall wehten Fähnchen im nationalen Grün-Gelb-Rot, sogar die Stämme der Bäume, welche den Vorplatz zierten, waren patriotisch bemalt. Ob ihnen das sonderlich taugt, ich weiß nicht.

Stolz

Die kleinen Parks entlang der Wirtschaftszentrale der African Union wirkten trostlos: sie waren verschlossen, vertrocknet, vergessen. Als ich den Hügel weiter nach Norden entlang schritt, sah ich überall Militär und Polizei, die mir freundlicherweise „meinen Weg“ zeigten und auf welcher Straßenseite ich doch bitteschön zu gehen hätte.

Ist das immer so oder war an dem Tag ein Sonder-Castortransport für streng drein blickende Aktenkofferträger geplant? Der Kaiserliche Palast war von Wachtposten umzingelt; als ich links daran vorbei schlenderte, wurde ich abermals aufgehalten: „Neinnein, hier geht’s nicht weiter, geh bitte da lang.“

Why not

„Was, über die Wiese?“ – Ischschi. Wich ich also auf’s Feld aus und beendete spontan mein imperiales Sightseeing. Immer noch mitten in der Stadt grasten die Ziegen, nackte Männer wuschen ihre glänzenden Ebenholzkörper in einer giftigen, grauschwarzen Brühe, die nach radioaktivem Zerfall roch.

Hinter den abgetriebenen Föten der Wolkenkratzer-Baustellen von Downtown flirrten blass und verschwommen in der Ferne die Hänge des äthiopischen Hochlandes.
So be it. Ein Ass hatte ich noch im Ärmel. Ich bahnte mir meinen Weg nun wieder eigenhändig und ungehindert zur St. George Cathedral in Piassa, ein recht ungewöhnlicher Bau in Form eines Achtecks, der über einem großen Kreisverkehr thronte.

Seliger Schorsch

An den Treppen, die zur Kirche hochführten, breiteten Straßenverkäufer ihren grell golden blitzenden Schabernack aus, in der Mitte des Roundabouts grüßte Kaiser Menelik II. von seinem scheuenden Pferd.
Abgesehen von ein paar leidlich interessanten Gemälden bot die Kirche allerdings nicht viel, also wendete ich mich zurück ins Gewusel der Altstadt.

Mein Gemüt sank nun mehr und mehr, ich fühlte mich niedergeschlagen und von einer seltsamen Kälte umweht. Ich empfand die Atmosphäre als zu hektisch, zu unangenehm, fast schon aggressiv.
Nun, Piassa war in der Tat eine bunte und zwielichtige Spelunke von einem Viertel, vielleicht hatte ich mich davon anstecken lassen. Wäre sie eine Insel, würde sie Tortuga heißen.

Wahrnehmung

„Uach, und hier also soll ich die kommenden Tage verbringen?“
Happy empfing alsbald neue Couchsurfer, weshalb ich nicht ohne ein tränendes Auge, doch bereitwillig Platz machte und mich für meine letzten paar Nächte im Taitu einmietete. Ich hatte mich sehr an Gotera gewöhnt.

Immerhin hatte ich mir das günstigste Zimmer für 250 Birr (acht Euro) gesichert: es war schäbig, der Putz tröpfelte von der Wand, der Holzboden stand kurz vor seiner Versteinerung, aber dafür war es geräumig und mit einem stolzen Balkon gesegnet, der den Blick freigab auf die Büros einiger Travel Agencies.

Erschaffen und verlassen

Hat man auch nicht immer. Aber in den Gemeinschaftsduschen krempelte ich mir schon die Hosenbeine nach oben, sicher ist sicher. Das ganze Gebäude schien unter meinem elbenhaften Auftreten wie unter heftigen Gliederschmerzen zu ächzen und zu zittern.

Das war aber nichts gegen den infernalischen Lärm, den die einheimischen Gäste im kollektiven Timkat-Fieber veranstalteten mit ihrem elefantösen Getrampel.
Aber an jenem ersten Tag in Piassa wollte ich nur noch weg, so sehr, dass ich sogar einen Kaffee verschmähte, weil er mir zu lange dauerte.

Umgehen

Sadhguru sagt, weglaufen bringt nichts, weil das passiert alles in uns drinnen: alle Wahrnehmungen unseres Körpers landen schließlich im Gehirn, wir erschaffen die Welt um uns in der Tat in uns. Verdammter Klugscheißer.

Lieber schleppte ich meinen ermattenden Körper Richtung Dembel, da alle Minibusse heillos schwanger und auf ihrem rasend ratternden Weg zur nächsten Entbindungskreuzung waren. Im Khul hielt Helena einen Vortrag darüber, wie man mit Gedanken und Gefühlen umgehen kann, ohne dass man mit einem Knoten im Unterbewusstsein aufwacht.

Fenster auf

Ah! Genau das Richtige. Ich hatte ja versucht, meine Emotionen an dem Tag zu spüren, die Energien fließen zu lassen, aber irgend etwas in mir schien sich beharrlich dagegen zu sperren. Ich fühlte mich unsicher, eingeengt und unwohl. Wenn ich in die hoffnungsvollen und ernsthaft konzentrierten Gesichter um mich blickte, packte mich schon die kalte Wut.

Doch am Ende des Talks endlich knallten innerlich alle Fenster auf, und meine Stimmung flog dankbar nach draußen und ab Marsch hoch in die Lüfte. Zuhause aßen Happy und ich zum letzten Mal gemeinsam zu Abend, und wir schauten uns Sadhguru-Videos auf youtube an.

Der Typ. Der braucht schon fast ein Buchungsprogramm. Einen Channel Manager für Couchsurfing, bitte! Herzlichen Dank.
Nach einem letzten, ausgedehnten Frühstück in seiner Bude und augenvollen Verabschiedungen zog ich endlich in das leicht anarchische Chaos von Piassa.

Lüfte

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