Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Dem Ego sein S…
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Durch die vorsichtig grünenden Gebirgslandschaften des Zagros zu tingeln, war bereits an und für sich eine Sehenswürdigkeit. Nicht nur einmal kam urplötzlich hinter einer scharfen Kurve eine gähnende Schlucht oder ein tiefblauer Bergsee zum Vorschein, der die steil abfallenden Hänge in sein kaltes Bett nahm.
Es sind diese Momente, wo man froh ist, über ein tadellos funktionierendes Kiefergelenk zu verfügen.
Auch Küstenstraßen helfen, wobei ich leider sagen muss, dass weder die am Persischen Golf noch jene am Kaspischen Meer zu viel zu gebrauchen war. Jedoch gab es einen Anblick, den ich wohl nicht so schnell vergessen werde.
Es war auf der Fahrt von Bandar Abbas nach Busher. Zu sehen gab es nichts, denn es war bereits dunkel.
Doch auf einmal erhob sich zu meiner Linken ein Lichtermeer, so dass man meinte, der Sternenhimmel sei auf die Erde gefallen.
Leider strafte der im ersten Moment romantische Anblick seine Existenz jäh Lügen, denn es handelte sich um eine gigantische Ansammlung von Fabriken, Pipelines und Schornsteinen, aus denen qualmende Stichflammen züngelten.
Kilometer um Kilometer zog sich diese Vorhölle Iran’s Südküste entlang, eine Stadt so groß, dass selbst Tehran wie Michelbinge im Auenland anmutete.
Zehntausende finden in diesem wahrhaftigen Moloch aus Gas- und Erdölraffinerien ihren Broterwerb; und dieses mag das erste und letzte Mal sein, dass ich diesen Ausdruck ohne auch nur den Hauch einer Übertreibung gebrauche.
Nimm alle dystopischen Ideen sämtlicher gesellschaftskritischer Pessimisten, gib sie zusammen mit einigen hochexplosiven Materialien in einen Betonmischer und warte in einem Atomschutzbunker mit UV-Brille und Gehörschutz auf das beklemmende Ergebnis. Skynet wirkt im Vergleich dazu wie eine Waldorfschule.
Zum ersten Mal hatte ich ein reales Bild vor Augen, wenn Tolkien in seiner Legendensammlung „Silmarillion“ von der „Eisenhölle Angbands“ spricht, Morgoth’s düsterer Festung.
Ich habe Boromir vor Augen, wie er sich ungläubig die Schläfen massiert und sagt:
„Man spaziert nicht einfach nach Mordor hinein. …Nichts als karges Ödland, übersät von Asche, Feuer und Staub. Selbst die Luft, die man atmet, ist wie giftiger Dampf!“
Ob der alte Meister in einem seiner dunkelsten Träume die Vision einer üblen Zukunft erhaschte? Ganz ehrlich, etwas derartig Monströses habe ich meiner Lebtag noch nie vor die Linse bekommen.
Ähnlich, jedoch anders ätzend an der Nordküste:
Theoretisch handelte es sich um einzelne Ortschaften, aber praktisch verließ ich Rasht während einer stundenlangen Fahrt nie wirklich. Ungelogen die gesamte Uferstrecke des Kaspischen Meers war komplett zugebaut mit Hotels, Vergnügungseinrichtungen und ein Factory Outlet am anderen.
Die gesamte nambehaftete Welt der Mode drückte sich dort die Klinken so fest in die Hand, das einem Angst und Bange wird.
Im Grunde war es ähnlich wie der Ruhrpott, wenn man ihn wie eine Perlenschnur entlang einer Straße aneinander reihen würde.
Ich hatte Glück, dass ich auf der anderen Seite des Busses saß, wo man doch ab und an einen geschwinden Blick auf einige Reisfelder und Teeplantagen unter den Hügelketten des Alborz erhaschen konnte.
Eine wahre Herausforderung für meine Fotografenkünste.
Es war erst drei Tage nach No Ruz, weshalb noch immer Feierverkehr herrschte. Wir kamen eher so schleppend voran und standen immer wieder im Stau, so dass wir für die etwas mehr als vielleicht 400 Kilometer bis Gorgan an die elf Stunden brauchten.
Tags darauf auf der zweiten Etappe meines faulen Road Trips begrüßte mich jedoch das saftigste Grün, das ich mir in jenen Gefilden bis dahin nie hätte vorstellen können. Ungelogen, die Wiesen und Felder hinter Gorgan brauchen einen Vergleich mit der verschwenderischen Pracht der Kiwi-Nordinsel oder unseren üppigen Miitelgebirgen beileibe nicht zu scheuen. Ab und zu mischte sich leuchtendes Gelb und Rosarot darunter, unter einem weiten, blauen Himmel.
Es war eine Wonne, meine Augen daran zu weiden.
Wenig später kamen wir durch die ausgedehnten Wälder Golestans und durchquerten die tief eingeschnittene Schlucht eines munter plätschernden Flusstals. Es nimmt nicht Wunder, warum diese Gegend „Blumengarten“ genannt wurde, vor allem wenn man sie zum Rest des Landes vergleicht.
Überall wurde emsig gepicknickt, geblubbert und gezeltet. Es war Freitag, sprich Wochenende. Am liebsten wäre ich rausgesprungen und hätte mich irgendwo dazugesetzt. Habe ich erwähnt, dass die Iraner das Picknicken lieben?
Das stimmt so nicht. Vielmehr ist es ihnen auf den Leib geschrieben und ins Sein eingraviert. Wie bei uns Kaffee und Kuchen: da redet man nicht drüber, es wird einfach gemacht.
Die ziehen das gnadenlos durch, egal wie, egal wo, Hauptsache, eine Decke liegt irgendwo ausgebreitet unter Bäumen, auf einer Wiese, auf Beton, am Straßenrand. Scheißegal, solange es nur eine ausreichend ebene Fläche gibt, wo man die Wasserpfeife hinstellen und den Kebab austeilen kann. Selbst neben dem Standstreifen auf der Autobahn, ich schwöre!
Und dann kam etwas Verblüffendes. Eine Windung und einen Augenblick später änderte sich die Szenerie schlagartig. Das Flussbett war schon seit geraumer Zeit trocken, aber jetzt hörte auch der Wald wie abgeschnitten auf und machte wieder der üblichen, nur zart grünen Steppenlandschaft im keimenden Frühling Platz.
Praktisch ohne Übergang, als ob man eben eine von Erdkundelehrern gezogene Klimagrenze passiert hätte. Eben noch in Skandinavien, jetzt schon in Zentralasien!
Ob das mit rechten Dingen zugeht?
Und siehe! In Mashhad geschahen Zeichen und Wunder. Nun, das erscheint mir nur als recht und billig, immerhin handelte es sich um die heiligste Stätte mit dem abgefreaktesten Schrein in ganz Iran.
Ich konnte nicht nur vom selben -und ziemlich monströsen- Busterminal aus weiter nach Yazd heizen, sondern es gab sogar in Fußnähe eine günstige, jedoch saubere und state-of-the-art Absteige. Ich musste wirklich nur über die Straße gehen. Kheyli khub!
Die Stadt anschaun? Nix fix! Weiterrrr! Den letzten großen Brocken bis Yazd fuhr ich wieder gen Südwesten quer durch die „Kavire Dasht“-Steinwüste, von der ich jedoch den Großteil in Dunkelheit sitzend verbrachte.
In drei Tagen in etwa 2.000 Kilometer, das kann man schon mal machen. Allerdings war ich lediglich halb-wahnsinnig und baute nur eine Nachtfahrt ein, während ich die restlichen Nächte brav und wie ein Grabstein schlafend in fest verankerten Mosaferkhunehs verbrachte.
Nur damit ich nachher sagen kann: Klar war ich in Mashhad! Der Schrein, jaaa sensatioNELL!
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht