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Thron

Durch einen winzigen Tunnel gelangte ich in das nächste religiöse Becken, und in seiner Mitte thronte die Marienkirche, „Bet Maryam“. In der Früh trifft man dort gewöhnlich die meisten Gottesanbeter an, da die Muttergottes neben dem blutrünstigen Georg die am meisten verehrte Bibelgestalt in Äthiopien darstellt.

Ihre Gesänge vor dem westlichen Portal waren von einer Macht und Urwüchsigkeit, wie wenn das Leben neu ersteht: Kehlige, dissonante Laute brandeten im kühlen Morgengrauen organisch und beinahe intuitiv durch die alte Felsenhalle, ähnlich wie verwirrte Atome auf der Suche nach einem passenden Partner.

Experiment

In dieser Ursuppe aus Tönen verbanden sie sich irgendwann zu Klang gewordenen Molekülen, zu einer kraftvollen Harmonie, die jedoch nie lange Bestand hatte in jenem unkontrollierten Experiment der Schöpfung; zu uneins waren sich die einzelnen Stimmträger wie damals die Ainur zu Tolkiens göttlicher Musik der Weltentstehung.

Weltenspiel

Schon stoben sie wieder auseinander!, und ein jedes folgte wieder seiner eigenen Weise, nur um sich erneut zu finden und zu verlieren in der täglichen Morgendämmerung des Kosmos.
Sie spielten das Spiel von der Welt, das die Hindus „Lila“ nennen; verlorene Elemente im Großen Chaos vor aller Zeit auf der Suche nach Ordnung, nach einem Sinn – nach Liebe.

Aus Tradition und gutem Anstand lasse ich generell wenig gute Haare an meinen Reiseführern*, aber in diesem Fall fand ich, hatte der Autor den Nagel leider auf den Kopf getroffen, wenn er schreibt, dass man dort in Lalibela das Christentum in seiner biblischen Urform bewundern könne, roh und stark.

Roh

(*In Wirklichkeit war er gar nicht so schlecht, nur ab und zu a bissl veraltet, aber das ist normal. Und das habe ich niemals laut gesagt!)

Andacht

Ja, es gab wenig Struktur, alles schien sich auf natürliche Weise zu ergeben. Wenn ein Sprecher mal ins Wanken geriet, half ihm ein erfahrener Priester nachsichtig lächelnd auf die Sprünge.

Doch längst nicht alle Gottsucher standen bei der Menge auf dem Kirchenvorplatz, sondern sie erahnten, dass ihnen der Herr vielmehr aus einer ruhigen Eremitennische verschmitzt zuzwinkerte, und sie küssten die rauen Wände der alten Steinmauern, versanken körperlich wie geistig in einen andächtigen Trancezustand.

Manche kauerten derart mit Tüchern umwickelt auf dem Boden, dass man sie im grauen Zwielicht beinahe für einen Sack Mehl hätte halten können.
Auch die charakteristischen Säulenvorbauten der Kirche waren ein beliebter Ort der Hingabe.

Einzigartig

Sie, das Giebelfresko mit zwei Reitern, wahrscheinlich eh wieder der Schorsch, sowie ihre kuriosen Fensteranordnungen, die mit bestechender Symbolik (wenn man es weiß) die Kreuzigung darstellen, machen das Gebäude derweil einzigartig.

Da sieht man in der Mitte also ein Fenster, das den Sohn Gottes am Kreuz versinnbildlichen soll, und daneben wiederum welche, die eher an Hakenkreuze erinnern und laut Lehrmeinung seine zwei sündhaften Nachbarn symbolisieren.

Samsara

Nicht weil sie Nazis gewesen wären, – das ließe sich allein chronologisch, selbst unter Einfluss gehöriger Mengen an dubiosen Substanzen, nur schwer als haltbar erweisen – sondern weil sie gefangen waren im „Samsara“, dem großen Rad des zwiegespaltenen Lebens, die ursprüngliche und eigentliche Bedeutung der indischen Swastika.

Abstrakt

Wenn man aber genau hinschaut, befindet sich da noch ein kleineres Fenster über dem rechts vom Imanuel, was verdeutlichen soll, dass derjenige welche während der letzten Stunden seinen Irrtum von Ursache und Wirkung erkannt und Buße getan hatte und somit bei Eintritt des Todes in den Himmel fahren durfte. Fuh, grade noch so geschafft!
Wohingegen der linke Nachbar…, nun Ihr seht ja selbst, in welche Richtung sein Begleitfenster zeigt.

Kaleidoskop

Noch viel interessanter und und Aah! und Oooh! zeigt sich jedoch das Innere der Kirche, in guter äthiopischer Tradition über und über bemalt und verziert mit so vielen kleinen Details, dass es mich wie ein Kaleidoskop langsam hypnotisierte, wenn ich mich zu schnell um meine eigene Achse drehte.

(Selbstverständlich war ich nicht so blöd und hab’ das gemacht! Nein, vielmehr habe ich den Zug genommen, liebe Oma.)
Nonsens! Ich brauche doch keine Hilfsmittel, um planlos und verdattert neben mir zu stehen; das ist quasi der Ausgangspunkt und die Werkseinstellung meines Lebens.

Comic

In seiner, nicht meiner, düsteren Mitte befand sich eine mit reichen Inschriften versehene heilige Säule, die leider immerzu mit einem Tuch bedeckt war. Daneben waren auf Bogengewölben bunte Blumenmotive, unter anderem der Davidstern sowie eine lächelnde Sonne zu sehen, die sehr an ein Comic-Motiv erinnerte.

An den Wänden fanden sich zwei kämpfende und mehrere eigenartige, doppelköpfige Adler, von denen manche frechen Alternativhistoriker ja behaupten, es handele sich dabei um das Wappentier eines mysteriösen tartarischen Großreiches, das in keinem Geschichtsbuch Erwähnung findet, jedoch auf zahlreichen alten Karten und in Heraldiken verzeichnet sei.

Atlantis

Noch etwas forschere Stimmen sehen in ihnen sogar die Nachfahren des großartigen und fantastischen Atlantis, deren Söhne und Töchter wiederum berühmt waren für ihren hohen technischen Entwicklungsstand und die monolithischen Bauwerke, die sie uns den Stimmen nach hinterließen.

Über denen raufen sich die meisten Architekten heute noch verzagt die Haare und wundern sich, wie ein paar Ägypter ohne höhere mathematische Begabung das fertig gebracht haben sollen.

Wuchtig

Nicht, dass ich deren Meinung unbedingt teilen wollte, aber ich finde solcherart und vordergründig skurrile Theorien zumindest lustig und unterhaltsam, und schließlich sollte man stets ein offenes Gemüt bewahren, nicht wahr.
…Wobei es schon geil wäre, wenn Atlantis wieder auftauchen würde.

Wie zum Beispiel die Jesuskirche „Bet Amanuel“ in der südöstlichen Gruppe von Gebäuden, kaum weniger eindrucksvoll und wuchtig als das Erlöserhaus.
Aber immer Ruhe mit den jungen Pferden, denn noch befinden wir uns im ersten Cluster, das im Nordwesten. Gehen wir also weiter und sagen Maria einstweilen au revoir.

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