Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Pfeifenkonzert…
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Doch just zum rechten Zeitpunkt erfuhr ich Linderung in der gemütlichen Sessel-Lounge des Mekonnen, als sich der Franzose Roman zu mir gesellte und mich auf ein seltenes Bier einlud.
Der wiederholte und bestätigte praktisch Wort für Wort alles, was in mir vorging und ihm ebenso wie mir gehörig zu schaffen machte, tatsächlich bis ins kleinste Detail: „Maybe I’m getting too old.“ Der hatte sogar seinen Aufenthalt wegen eines Jobangebots verkürzt und war heilfroh darum; in jedem anderen Fall eine Todsünde, gegen die Judas’ Verrat sich ausnimmt wie ein charmanter Lausbubenstreich.
So saßen wir einträchtig da und wiegten uns gegenseitig im Leiden und der fast schon poetischen Misere unseres Luxuslebens. Noch ein Bier? – …Why not.
Aber nach einem erholsamen, wenn auch kurzen Schlaf sieht die Welt meistmals ganz anders und wie verwandelt aus.
Frischen Mutes also machte ich mich am darauf folgenden Morgen mit meinem einheimischen und frankophonen Eisenbahn-Mentor, den ich ebenfalls im Mekonnen kennengelernt hatte und der aufgrund einer ewigen Chat-Flatrate nur grün nuscheln konnte, auf zum Shuttle-Bus, der mich wiederum etwas später zum zehn Kilometer außerhalb gelegenen Bahnhof bringen sollte.
Das Ding sah eher aus wie ein Weltraumflughafen oder wie die überirdische Hybris eines zentralasiatischen Diktators; die koloniale Romantik der altehrwürdigen „Chemin de Fer“-Station brutal entstellt und dem Verfall anheim gestellt.
Was wiederum meine Hypothese stützt, dass die großartige Vergangenheit dieses Landes die Gegenwart kompensiert: da wird nicht gekleckert, sondern ordentlich geklotzt und geprahlt mit der nagelneuen – und einzigen – Zugstrecke Addis-Djibouti, während Kinder in braun verdreckten Fetzen kaum einen Block weiter alte Fahrradschläuche durch die Gegend schieben zum Zeitvertreib.
Alles funkelte, alles blitzte, war gestriegelt und geschniegelt, so dass mir die Augen schmerzhaft tränten. Der Sicherheitscheck in der Wartehalle, die himmelsstrebender und schwindelerregender wirkte als eine europäische Kathedrale, verleitete mich zu der Annahme, dass sämtliche Passagiere Diplomaten, Würdenträger und/oder rehabilitierte Warlords sein mussten.
Die Burschen in Miami können sich da ganz bequem eine dicke Scheibe von abschneiden.
Nur mit der englischen Rechtschreibung hapert es noch ein wenig.
Die junge Dame, die mit einer Eselsgeduld das Innere meiner beiden Rucksäcke staunend und leicht angewidert nach außen kehrte, als ob es sich dabei um eine helal-Notschlachtung handelte, musste kurz innehalten und verwirrt die Stirn runzeln, als sie ein paar abgelaufene Kondom-Eremiten in einem verlassenen Seitenfach fand.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis ihr leicht errötend dämmerte, was sie da in Händen hielt und dann fing sie verschämt das Kichern an. Süß.
Wie außen, so innen.
Blitzeblank fuhr der stolze und frischgebackene Zug mit seinem makellosen und gewiss noch sterilen Interieur am Bahnsteig ein, aber da endlich begann die Fassade zu bröckeln. Ich fragte eine Schaffnerin, wo denn der Waggon Nummer Hulätt (Zwei) sei.
Sie aber winkte nur ab und meinte, dass das Fahrkartensystem eh nicht funktioniere, und demnach könne ich mich überall hinsetzen. Das war auch nicht weiter schwer, denn Platz gab es genug.
Pünktlich um 13:05 Uhr pfiff die Lok zur Abfahrt, mein Haken war unwiderruflich gesetzt: Es gab nur eine einzige Zugstrecke in diesem Land, und ich war dabei!
Für diesen Spaß musste ich lediglich zwölf Euro draufzahlen, denn ferenji werden aufgrund ihrer schwerwiegenden Erscheinung doppelt zur Kasse gebeten: statt 300 wie die Locals zahlte ich exakt 666 Birr inklusive Shuttle. Welch ominöse und schicksalsträchtige Zahl!
Wieder ein charmanter Minuspunkt auf meiner Liste.
Nun, das wäre ja nicht weiter tragisch gewesen, wenn mich der Armleuchter im Ticket Office nicht in Sicherheit gewiegt und einen jenseitsmäßigen Stuss verzapft hätte.
Ich fragte ihn nämlich, ob denn der Zug in Addis direkt in die Stadt fahren würde oder ob das Ankunftsterminal eher im weiteren Umkreis, quasi an der Peripherie läge.
„City! City!“ – Ja super.
Augenscheinlich hatten wir eine grundlegend und unversöhnlich verschiedene Vorstellung von einem Stadtzentrum, denn für die zehn, fuffzehn Kilometer vom Bahnhof bis zu meinem Hotel musste ich nochmals 13 Flocken für’s „Contrract“- oder Privat-Taxi berappen, weil Öfis gab es da draußen keine.
Wären wir also am Ende bei insgesamt 35 Euro für den Transfer von Dire Dawa nach Addis angelangt, der unter normalen Umständen gerade einmal zehn gekostet hätte.
Aber was tut man nicht alles für die Liebe. Denn meine Leidenschaft für das Zugfahren übersteigt selbst den Götterberg Olympos und sprengt mit einem Fingerschnippen Einsteins Lichtbarriere.
Und nein, so groß ist Addis auch wieder nicht. Da draußen tschirpten die Zikaden, und der Mond schien helle.
Auch in Äthiopien gilt die eherne Traveller-Regel:
Traue niemals einem Einheimischen. Die haben oft weniger Ahnung von ihrem Land als man selbst.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht