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Unübersichtlich

Nach einer letzten bunna-Infusion auf der Terrasse des Negeyo-Cafés sowie einer weiteren erbaulichen Preisdiskussion mit den Minibus-Leuten – dieses Mal zu meinen Ungunsten – kehrte ich Harar schließlich den Rücken.

Einmal mehr wurde ich unfreiwilliger Zeuge der aggressiven Grundstimmung am unübersichtlichen Busbahnhof. Ein Fahrer hieb mit der flachen Hand auf einen Einweiser ein, weil er eigentlich an der Reihe gewesen wäre und sich übergangen fühlte; mein Rikschafahrerherz war bei ihm.

Anhöhe

Aber so scheint es mir, dass man sich wohl oder übel auf deren negative Schwingungen einstellen muss, um zumindest eine kleine Chance zu haben, irgend etwas zu erreichen.
Oder noch viel besser, man besitzt überhaupt kein Ego, um derlei Situationen mit dem Gleichmut und der Gelassenheit eines Heiligen über sich ergehen zu lassen.

Doch soweit bin ich leider trotz aller Meditationspraxis noch lange nicht.
Die Fahrt ins etwa zwei Stunden entfernte Dire Dawa verlief durch eine eher trübe Gegend, gelegen auf einer langgezogenen Anhöhe und mithin eine der Chat-Kornkammern des Landes.

Mästen

Riesige Büschel der Volksdroge wechselten die Besitzer, einige glückliche Käufer lagen benommen und sediert auf den Gehsteigen, umgeben von einem leuchtend grünen Blätterteppich, und suhlten sich in ihrem Delirium.

Während das Land in Armut, Dreck und Müll versinkt, mästen sich die Menschen an den einzigen Dingen, die ihnen noch zu bleiben scheinen: am trügerischen Nirvana einer fatalen Abhängigkeit sowie am Stolz ihrer einstmals hochstehenden Kultur und Wehrhaftigkeit, verwittert und verblichen wie der Putz an den bröckelnden Häuserwänden.

Dräuen

Entlang einer sich gemächlich ins Tal schlängelnden Straße mit dramatischen Ausblicken auf die dräuenden Berge unter einem wolkenverhangenen Himmel erreichte ich am Ende mein Ziel.

Auf brütenden 1.200 Metern über dem fernen Meeresspiegel und verzehrte ein opulentes Mittagessen vom all-you-can-eat-Buffet eines Nobelrestaurants, um die wechselhaftige Fahrt zu verdauen. Sodann checkte ich in das günstige und nur seicht angeranzte „Mekonnen-Hotel“ gegenüber vom alten Bahnhof ein.

Wüstenkaff

Die Stadt war bekannt für ihre bunten Märkte. Also schlenderte ich über ein trockenes und wie so oft von Müll übersätes Flussbett in den alten Stadtkern, der mit den bunt bemalten Fassaden seiner Flachdachhäuser sowie den baumbestandenen Gossen fast wie ein mexikanisches Wüstenkaff auf mich wirkte.

Allenthalben zuckelten hölzerne Pferdedroschken durch die Straßen, die sich sogar in einem Denkmal in der Mitte eines Kreisverkehrs verewigt zeigten. Diese wurden jedoch erstickt von den posaunenden Armeen der bajajs, die wie eine biblische Plage auf die Stadt hernieder stießen.

Plage

Ob wirklich derart viele Leute von A nach B müssen tagtäglich?
Oder werden die am Ende von der Obrigkeit bezahlt, um den zweifelhaften Flair einer geschäftigen Provinzmetropole aufrechtzuerhalten? Das wiederum fragte ich mich.

Als ich am „Kafira“-Markt anlangte, schlug mir ein Schrecken erregendes Kaleidoskop aus widerstreitenden Gerüchen und optischer Reizüberflutung entgegen, eingebettet in den tosenden Hintergrundlärm einer viel zu großen Menschenansammlung und ihrer Gerätschaften.

Ducken

Normalerweise ducke ich mich mit Freuden in die niedrigen und schummrigen Gänge zwischen den verdreckten Plastikplanen der einzelnen Stände, in denen von Metall bis Gemüse alles und nichts feilgeboten wurde.

Doch an jenem heillosen Ort war der Ansturm auf mein zu dem Zeitpunkt zart besaitetes Wesen derart überwältigend, dass ich mit wehenden Schnürsenkeln die Flucht ergriff und so schnell wie möglich in die Sicherheit meines Hotels hoppelte in dem verzweifelten Versuch, dass es nicht wie eine solche wirkte.

Charme

Wie ein unersättlicher urbaner Vampir schien Dire Dawa sämtliche Lebensenergie aus mir zu saugen und strahlte trotzdem einen morbiden und vorwitzigen Charme aus, ähnlich dem einer verbrauchten und in die Jahre gekommenen Sirene.

Wimmernd und leise fiepsend versuchte ich durch einige Atemübungen, mein eklatantes Defizit wieder auszugleichen, aber das war wie, wie wenn ich versuchen wollte, das Universum zu bewässern.
Vielleicht lag’s auch am Vollmond; ein dankbarer Sündenbock, wie er da schneeweiß und strahlend und stumm am Nachthimmel hing.

Geiern

Zudem gewinne ich immer mehr den Eindruck, dass man sich in Äthiopien als westlicher Tourist auf einem rutschigen Präsentierteller aus hauchdünnem Eis befindet – vielleicht ein bisschen so wie jene armen, gefolterten Seelen bei „Deutschland sucht den Superstar“.

Überlegt Euch mal, wie das wäre, von einer ganzen Stadt voller Dieter Bohlens angestarrt zu werden, begierig und geil auf den erstbesten Fehltritt des menschlichen Geflügels vor seinen geifernden und wässrigen Augen…
Nein, macht das besser nicht. Aber jetzt ist es schon zu spät, nicht wahr?
Entschuldigung. Das tut mir wirklich, und aufrichtig leid.

Zur Schau

Jedoch ist das zunächst nicht verwunderlich. Immerhin erging es mir schon des öfteren so in fremden Ländern, ja, manches Mal vermag ein derartiges Umfeld meinem kranken Ego sogar zu schmeicheln.

In jenem Land aber hatte ich das Gefühl, wie eine missgestaltete Kuriosität auf einem zwielichtigen Jahrmarkt zwischen den Weltkriegen zur Schau gestellt zu werden; zur Belustigung der entfesselten und enthemmten Massen der wilden Zwanziger Jahre.

Kribbeln

Da wurde gestarrt, getuschelt, gekichert, und zumindest dem Klang nach schleuderten mir unflätige Grobheiten entgegen, so dass ich nach all den Jahren zum ersten Mal tatsächlich Hemmungen hatte, in den gärenden und vor Leben kribbelnden Kessel des einheimischen Alltagslebens einzutauchen.

Äthiopien ist ein ganz und gar faszinierendes und vor allem bildschönes Land, doch ich sehe schon jetzt, nach nicht einmal ganz sechs Wochen, mit letzter und absoluter Klarheit in meinem einfältigen Blick,

Wegelagerer

…dass nach meiner Abreise nicht einmal das Pferdegespann Odins unter Begleitschutz seiner vortrefflichen Walküren mehr imstande sein wird, mich in diesen Schrund aus keifenden und johlenden Wegelagerern zurück zu zerren.

Und wenn wie in der Bhagawadgita „tausend Sonnen auch zugleich am Horizont emporstiegen“, niemals, niemals mehr werde ich einen Fuß in dieses verteufelte und hinreißende Land setzen!
In Wahrheit reichte es mir schon. Es war einfach zuviel.

Kafira-Markt

Flucht

Dünnes Eis

Bunt

Provinz

Vorwitzig

Wie so oft

Präsentierteller

Verbraucht

Am Bahnhof

Schlängeln

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