Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Zur metaphysischen Melancholie…
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Diese neu gewonnene, innere Stabilität gefiel mir so gut, dass ich voller Zuversicht und Vertrauen nach Mexico City fuhr, ohne auch nur den Schatten eines Gedanken an eine Unterkunft zu verschwenden. Doch das „Centro Historico“ dieses Millionen-Monsters war weitläufiger, als in meiner Welt überhaupt Platz war.
Zudem waren in Frage kommende Hostels unscheinbarer, als ich Berichten zufolge zunächst angenommen hatte. Aber da sieht man es mal wieder:
Traue niemals anderen Reisenden!
Natürlich steckten mir auch die achtzehn Stunden Busfahrt in den Knochen, in deren dunklen Stunden ich mich weitgehend auf whatsapp herumtrieb, wo meine armen und gebeutelten Community-Krieger händeringend und tränenreich um Missverständnisse und verletzte Gefühle rangen; und ich so wie ein federleichter babylonischer Feuertänzer inmitten des emotionalen Kreuzfeuers.
Aber sobald die Sonne hinter den Bergen hervorlugte, pustete ich mich zu einem knallharten Inquisiteur auf und nagelte meine Kamera an das durchsichtige Kreuz des Seitenfensters, denn die malerischen Gebirgslandschaften, die wir in gemächlichen und fast schon anmutigen Schleifen durchquerten, waren zwar durchaus von dieser Welt, aber sie fragten sich wahrscheinlich auch, wo zur Hölle sie falsch abgebogen waren.
Genauso wie der unglückliche LKW-Fahrer weiter vorne, denn der war vor lauter Schreck gleich ins Schleudern geraten und durch die Leitplanken in der Mitte der Fahrbahn gebrochen, so dass er den gesamten Gegenverkehr aus Mexico City kommend lahmlegte. Wir hatten Glück und konnten auf unserer Seite gerade so durchwitschen.
Aber drüben staute sich der Verkehr zurück bis in den gierigen Moloch, dessen Vororte sich wie ein brandender Tsunami die angrenzenden Berghänge hinauf fraßen. Erstaunlicherweise dauerte es nur eine gute halbe Stunde, in der wir über seine Gischt pflügten und tiefer in die Stadtmitte tauchten.
Anstatt der süßen, bunten Häuserl in den kleineren Orten wirkte die Altstadt von Mexico City vielmehr wie eine abgehalfterte, europäische Residenzstadt: grandios, pompös, großartig. Nur der Putz bröckelte vielerorts anmutig von den Wänden, und an Kirchtürme klammerte sich frech das Gestrüpp.
Aber sie lebte! Durch und durch, ohne Kompromiss. Schon bei meinem ersten, etwas seekranken Gang durch die Straßen der Altstadt begegnete ich Straßenkünstlern, darunter viele Musiker und finster herausgeputzte Schamanen, die mir eine etwas arge Show veranstalteten. Aber das war okay, das ist vielleicht so ähnlich wie die schamlose Lederhosn-Travestie zur Wiesn.
Fahrrad-Rikschas gab es, gar nicht so verbreitet in Lateinamerika. Aber eine ganz neue Spielart zeigte sich mir dort, da der gesamte Fahrgastbereich wie ein überdimensionaler Anhänger konzipiert war und recht unkompliziert und praktisch an das jeweilige Bike des Fahrers angehängt werden konnte. Gaffa-Tape macht das schon.
Aber an dem Tag und mit vollem Gepäck hatte ich leider keinen Nerv, mich auf ein solches zu setzen und es für meine Kollektion zu verewigen. Ich muss also nochmal nach Mexiko. – Ja ich weiß, furchtbar ist sowas.
Die offenbare Hostel-Flaute nervte mich langsam, und also gab ich die Suche schnell wieder auf und versteckte mich heimlich in einem Internet-Café, ja, die gibt es noch, und zack, zehn Minuten später stand ich an der Rezeption des „Massiosare“, und ich wusste, ich war am richtigen Ort.
Der Staff zeichnete sich durch seine unaufdringliche Jugend, entspannte Gutmütigkeit sowie eine geschmackvolle Prise Alternativsein aus, ohne dass mir die Augen dabei tränten; die Madeln und Burschen waren einfach rundum sympathisch und umgänglich. Und man konnte sie was heißen, und das will was heißen.
Es gab dort alles, was ich brauchte, und ich durfte sogar ein komplettes Sechsbett-Zimmer ganz für mich allein beanspruchen! Aber das Allererstaunlichste war die Toilette, denn das Waschbecken war in den Spülkasten integriert worden und stellte praktisch seinen Deckel dar.
Ein überaus raffiniertes System, denn wenn man spülte, floss das Wasser zum Händewaschen aus dem Hahn, um danach durch den Spülkasten in die Schüssel zu laufen.
Genial, oder? Es sind immer wieder die kleinen Dinge. Ich hab’s tatsächlich voll gefeiert und gleich so oft gespült, dass ich den Nachhaltigkeitseffekt locker wieder ausgleichen konnte.
Im obligatorischen Wasserspender, an dem ich meine Trinkflasche auffüllte, schwammen sogar ein paar Gurken, das macht man jetzt wohl so.
Leider war es kein Gin.
Ja, weißt, erst machen sie einem Hoffnung, und dann sowas. Das hätte voll gepasst, aber so musste ich mich wegen dem Gurkenwasser zwingen, schneller als gewohnt zu trinken, weil es ansonsten leicht ranzig wurde.
Es ist nicht leicht, ein Hipster zu sein. Allein schon das Geld für die ganzen Rasuren!
Naja. An jenem ersten Tag war ich auch zu nicht viel mehr fähig als nochmals durch das Centro Historico mit seinen beeindruckenden Häuserschluchten zu stromern, bevor ich mich in das vegane Restaurant (Logo!) im Erdgeschoss des Gebäudes pflatschte, wo sich auch das Massiosare befand.
Viel zu weit oben, denn der Aufzug war kaputt oder hatte vielleicht niemals funktioniert. Das war eines von diesen geilen, alten Kübeln, wie hießen die noch, Paternoster? Etwas in der Art, keine Ahnung.
Jedenfalls wäre ein Fahrt mit so einem Ding sicher ein Erlebnis und ein Abenteuer für sich gewesen, aber dergestalt war das der einzige Nachteil an meiner Unterkunft, weil ich jedes Mal in den vierten Stock klettern musste. (Gott sei Dank, gell Oma?)
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht