Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Tanz der…
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Ich schlug meine Augen auf und… war heil.
Hang on… No. Nononono. Rewind! Rewind!
…Manchmal muss man gar nicht aus dem Bus aussteigen.
Auf der Fahrt von Ahvaz in die Kleinstadt Shushtar lernte ich Zatar kennen, der mir den Sitzplatz neben ihm anbot.
Einmal mehr wappnete ich mich für ein spotzendes Gespräch über Sprachen und Vorstellungen hinweg.
Es dauerte somit auch nicht lange, bis er mich in sein bescheidenes Heim einlud. Die Dreier-Regel brav befolgend nahm ich schließlich dankbar an, auch da es in dieser Stadt anscheinend an günstigen Übernachtungsmöglichkeiten mangelte.
Nicht dass ich in der Verfassung zu einem sozialen Meltdown gewesen wäre.
Bereits zuvor hatte sich ein nagender Kopfschmerz meiner bemächtigt, der es sich in meinem Schläfenlappen nicht nur gemütlich machte im Laufe des Tages, sondern offenbar gar in Feierlaune war.
Hab’ ich den eingeladen? …Ich bin doch kein Iraner!
Kopfweh! Ich glaube, das letzte Mal wurde ich während eines interessanten Hitzschlags auf einer indonesischen Fähre von etwas derart Unerhörtem geplagt.
Das war vor sechs Jahren! Mit mir schien es tatsächlich rapide bergab zu gehen, und das nicht nur geographisch.
Aber ich riss mich zusammen und versuchte mit all meiner mir verbliebenen Kraft, Zatar meinen miserablen Zustand nicht anmerken zu lassen. Am Ende denkt der noch, das liege an ihm, und redet sich über lange Zeit antrainierte Schuldgefühle ein. Und ich weiß nicht, ob mein Farsi ausgereicht hätte, ihm das glaubhaft auszureden.
Er wurde von zwei seiner drei oder vier Söhne abgeholt, die mich stracks auf ihren Perser pflanzten. Seine Frau bekam ich im übrigen nie zu Gesicht, hörte sie nur in der Küche kläppern, was immer das heißen mag. Ich hoffe, sie ist nur schüchtern.
Es ist nun wirklich so, dass es in vielen iranischen Wohnzimmern bis auf einen Fernseher keinerlei Einrichtungsgegenstände gibt, die auch nur entfernt an ein Möbelstück erinnern. Man isst und bettet sich auf den mehr oder weniger kostbaren endemischen Teppichen, vielleicht mit einer cosy Matratze als Unterlage.
Auch die Wände zeugen von geschmackvollem Minimalismus. Also so ziemlich genau das Gegenteil von mir, wie jeder gerne bezeugen können wird, der schon einmal mein Zimmer in München betreten hat.
Minuten später belagerte mich ein ansehnlicher Haufen gegrilltes Hühnerfleisch sowie ein großer Humpen dieses köstlichen Yoghurt-Getränks.
Ich habe ja mittlerweile die Kebab-Schallmauer durchbrochen und so speichelrinnende Gerichte wie „Ghorme sabze“ oder „Qeyme“ entdeckt. „Sabze” heißt grün und enthält Spinat, was einigermaßen Sinn macht. Sowie eine wohlportionierte Ladung Bohnen, die meinen Darm Salsa tanzen ließen.
Das eigentlich Geniale an diesen Gerichten ist jedoch, dass sie eine schmackhafte, dickflüssige Soße beinhalten.
Nun. Man kann mir Reis und Fleisch vorsetzen, und ich nehme es zu mir.
Aber das ist, wie wenn man in einen Vodafone-Laden geht und sich einer dieser marmornen, gegeelt und gebleckten Standfigur aus einem grottigen Werbespot gegenübersieht.
Es ist wie ein gedrosseltes Moped oder ein im Wind säuselndes Elektroauto (Das bitte nicht falsch verstehen, ich bin voll für Umwelt und so, nur eben leider Gottes akustisch konditioniert.), eine Party ohne billigen Fusel, Kneipen ohne Dunkles Bier – wie ein Biergarten ohne Kastanienbäume.
Es ist der Politiker in Höchstform, ein Krawatten-Ghoul kurz vor der emotionalen Versteinerung, und der wandelnde Nerzmantel, eingegipst in einen bröckelnden Blätterteig aus Rouge und Mascara.
Es ist wie Rock ohne Sex und Drogen, wie ein Festival ohne Dixie-Klos und Kiosks ohne Klopapier.
Da fehlt der Sound, da fehlt der Groove, da fehlt das Leben!
Soße, meine lieben Mitesser, ist die Essenz und das alles verbindende Element einer jeden nahrhaften Mahlzeit. Ohne Soße verliert sich der Geist des Essens zwischen den Zähnen wie ein ausgehungertes Xylophonrippen-Model in einem Straßengulli.
Ohne Soße ist die Welt nur eine schale Form, bar jeglicher Substanz, eine leere Hülle ohne Bedeutung, schreiend in der Dunkelheit; einem flambierten Zombie gleich.
Soße verleiht unserer Nahrung Sinn und Zweck und bläst ihr den Odem des Weltgeistes ein. Eine gute Soße ist die pure, reine, unbeschmutzte Seele einer reich gedeckten Tafel und spiegelt die Urkraft aller Speisen wider wie ein glasklarer Bergsee das Licht der Sonne.
Wenn in einer schwäbischen Wirtschaft zu wenig Soße gereicht wird, kommt das einem ökonomischen und sozialen Selbstmord gleich:
Mach’ dicht den Laden! Da will doch keiner hin.
Aber ich will ja nicht undankbar erscheinen, der Kebab war wirklich lecker, und wenn man genug Dookh nachspült, kann man sich fast vorstellen, wie es wäre
…mit einer schönen, deftigen, saftig dampfenden…
Soße.
Die Burschen spielten noch fröhlich Karten, während ich verzweifelt versuchte, das bohrende Zerren in meinem Schädel zu ignorieren und ein letztes Hälmchen Contenance zu wahren.
Als ich mir zum Chai ein Stück Zucker zwischen die Zähne steckte*, hatte ich auf einmal das Gefühl, dass die Schmerzen etwas gelindert wurden.
Ich runzelte verwirrt die Stirn und probierte es nochmal… Tatsächlich!
*Das macht man hier so. Es gibt Löffel in Iran, aber deren mentale Verbindung zu Heißgetränken haben sie offenbar noch nicht hergestellt. Also steckt man sich ein ums andre Zuckerstück zwischen die Zähne und lässt es vom Tee davon und in die Magengrube spülen. Sehr gesund und vollwertig.
Nach etwa zwei Pfund industriell hergestellten, iranischen Süßmachers waren meine Qualen also beinahe vergessen.
„Nicht dein Ernst! Ich kann doch unmöglich unterzuckert sein, soviel wie ich in mich reinschaufel’ in der letzten Zeit. Bekomm‘ ich Diabetes?“
(siehe Hypochondrie, wohlige)
Wie dem auch sei, so konnte ich wenigstens schlafen, als die Zocker sich verzockten.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht