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Sicher?

Springen wir wieder nach vorne in der Zeit: Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Vergnügen, oben in einem Doppeldecker-Bus zu sitzen; und zwar GANZ vorne an der leinwandgroßen Windschutzscheibe. Endsgeil!
Das war auf der Fahrt von Bangkok, wo ich mich vom Rest der Truppe abgeseilt hatte, in den Norden Thailands, fast zurück nach Myanmar.

Eine halbe Stunde sann ich darüber nach, wie und wo ich am besten meine Sachen verteilen sollte, weil ich mit dem schieren Ausmaß an Platz psychisch gar nicht zurande kam. Der Sitz ließ sich fast waagrecht stellen, ich wollte am Ende gar nicht aussteigen.

Innenstadt

Mehrere Male hakte ich nach, ob sie sich auch wirklich sicher seien, dass es sich bei der eben erreichten Stadt tatsächlich um Chiang Mai handelte, und ob sich der Fahrer aus Versehen nicht vielleicht doch vertan habe: lange Strecke, Dunkelheit, einsetzende Konzentrationsmängel, Müdigkeit…

Nein? …Das bedeutet, es bleibt mir jetzt wirklich nichts mehr anderes übrig, als hier auszusteigen? – Merde!“
Einfach, weil ich noch ein bisschen weiter fahren wollte.

So wanderte ich ergeben die paar Kilometer vom Busbahnhof in die aufwachende Innenstadt, um Zeit totzuschlagen, bis die Guest Houses nach und nach ihre verschlafenen Pforten öffneten. Es war kurz vor Chinesischem Neujahr, und viele Bleiben waren bereits ausgebucht.

Quer

Ich stapfte quer durch die quadratische Altstadt und ergatterte schließlich das letzte Einzelzimmer im „Giant 2 Guest House“, wo man laut meinem Reiseführer noch „den guten, alten Backpacker-Spirit“ erleben könne. Naja, bei sowas bin ich ja immer etwas skeptisch. Schaun wir mal.

Allerdings dauerte es keine fünf Sekunden, bis ich mich in der Lage sah, die Richtigkeit jenes forschen Attributes vollauf bestätigen zu können! (Jedoch dauerte es noch eine ganze Weile länger, bis ich das volle Ausmaß dieses Tatbestandes erkannte.)

Freiheit

Ich wurde also empfangen von Traumfängern und tibetischen Gebetsfahnen, bunten Sofas und noch bunteren Graffiti-Wänden, und es gab Kaffee, Tee und Wasser for free. Daran angeschlossen befand sich ein geschmackvolles und dezent rot-gelb-grünes Etablissement mit Bildern von Bob Marley, Jimi Hendrix sowie Marihuana-Blättern mit dem bezeichnenden Namen „Freedom Bar“.

Gutgut. Die Rahmenbedingungen waren demnach abgesteckt, aber zu einem Backpacker-Hostel im althergebrachten und eigentlichen Sinne gehört auch eine Seele. Dort im Giant hieß sie Mod und redet etwa so: „You want to go monastely? You can do tomollo’, ve’y nice! You kno’, vely ol’, many-many yea’! You look – tell me. But later. Now, you lelax hea.“

Seelen

Bis zu jenem goldenen Tage hatte ich geglaubt, dass dieser ulkige Sprachfehler mittlerweile zu einem veralteten und verkrusteten Vorurteil verkommen sein musste, aber nein! Die redeten da wirklich so! Tnhn, das war so süß.

Eines Morgens seidete ich gerade meine Zähne, als sie mich, freilich und stets guter Dinge, durch mein offenes Zimmerfenster begrüßte: „Good Mo’ning!“ – „Goo‘ ‚o’ing, ‚od.“ – „Oooh! You do dat evely day?“ -Da musste ich schon grinsen- „Ye’ I ’ry ’o.“ „Oooooh, good! Also I wan’… but I cannot!“ – „Why ’at?“ – „You kno’, because! Fo’ me, I hab’ no time!“

Ma’ket

Nach zwei Tagen wusste sie über meine Tagesroutine Bescheid und fragte mich eines Abends ganz aufgebracht: „Whe’e you been?!“, als ich mal etwas später nach Hause kam. „I went to the market.“ – „You wen’ to ma’ket?? Because you kno’! I wolly: whe’e you been!“ – „Noo, don’t you worry, Mod. Everything is okay.“ – „Oke good.“

Sie konnte gar nicht anders, als sich aufopfernd und hingebungsvoll um ihre zeitweisen Kinder zu kümmern.
Aber alles im Leben hat zwei Seiten auf dieser Welt.

Frieden

Denn wenn man sich einmal in diese urbequemen Sofas gesetzt hat, kommt man so schnell nicht mehr heraus. Nicht wenige „Gäste“ des Giant 2 konnten ihrem schlüpfrigen Netz niemals wieder entkommen und sahen sich in ihrer Resignation gezwungen, einen Job zu finden.

Soll heißen, es tummelten sich dort viele kreuzentspannte Longtermer und Expats, ein weiteres gutes Zeichen. Selbst jene tapferen Seelen, die sich während ihres geburtsähnlich schmerzhaften Abnabelungsprozesses vom Hostel vor lauter Qual beinahe ihren Geist zerrüttet hätten, schauten alle paar Tage vorbei, um nach dem Rechten zu sehen und die friedliche Atmosphäre an diesem heiligen Ort zu atmen.

Unüberwindlich

Das lag an der örtlichen Gravitation.
Diese war in etwa so stark, dass sie aus Schwarzen Löchern Origami-Figuren zu falten vermochte und Treibsand zum Kotzen brachte. Man saß da und spürte das vielfach potenzierte Gewicht des eigenen Körpers, welches sich mit der Macht und Ausdauer eines mittleren Gebirges um die eigenen Knochen legte.

Selbst so einfache und alltägliche Dinge wie Duschen, Wasser nachfüllen oder das Vollbringen einer quasi-anständigen Rasur schienen so greifbar wie ein Quantenteilchen und türmten sich auf zu undenklichen, unüberwindbaren Mauern, unter deren Gewicht die Welt zerbrechen musste.

Verschmelzen

Das Sofa und ich wurden eins und verschmolzen zu einer stoischen Einheit, mein ganzes Sein wühlte sich tief in die Essenz des Polstermöbels. Die Partikel, aus denen unsere Billionen Zellen bestehen, vermengten sich in einem Wirbel der Verlangsamung und der Implosion hin zu einem vollkommenen Stillstand wie seinerzeit inmitten der Singularität vor dem Urknall, als die Zeit selbst verging.

Ich wusste nicht mehr, wo die äußeren Grenzen meines Körpers sich befanden und wo genau die Armlehne begann.
Nirvana, Eden, Walhalla, Jannah: man mag es nennen, wie man will.

Das Blöde ist nur, dass es innerhalb der Weltseele, und quasi außerhalb jeglicher Existenz, keinen Kaffee gibt.

Seufz. Es half nichts, ich musste also schweren Leibes wieder zurück in die Welt der Dualität und ins Reich der zerrenden und scherenden Gegensätze, auch wenn ich davon tagtäglich Kopfschmerzen bekomme.

Gravitation

Singularität

Traumpfang

Aufwachen

Altstadt

Zeit totschlagen

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