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Empfang

Ich hatte Glück, denn als ich in jenem Visitor Center von Awra Amba empfangen wurde, war auch der ehrwürdige Gründer der Gemeinde zugegen. Zumra hieß er.
Bevor ich nun weiter erzähle, lasst mich doch ein wenig ausholen und Euch mehr über ihn und sein Lebenswerk berichten.

Fragen

Mit zwei Jahren konnte sich Zumra laut Angaben seiner entzückten Eltern bereits gewählt verständigen und begann aber dann mit vier, unangenehme und lästige Fragen zu stellen.

So zum Beispiel, warum seine Mutter ihrem Mann tagsüber auf dem Feld helfen müsse, er jedoch nach getaner Arbeit faul auf dem Sofa flaggt, während sie weiter im Haushalt schuftet und für ihn das Abendessen kocht.

Zumra fand es auch falsch, dass kleine Kinder über die Maßen ausgebeutet und bis jenseits ihrer Kapazitäten mit Arbeit zugefrachtet werden oder dass alte Menschen auf der Straße betteln müssen.

Arbeitsteilung

Warum, so fragte er seine immer peinlicher berührten Eltern, sei es vollkommen ischschi, wenn er das Stück Rindfleisch von einem braven Muslim geschenkt bekomme, seine Mutter ihm aber dasselbe angeekelt und mit Schutzhandschuhen aus der Hand schlage, sobald er es stattdessen von einem Christen entgegen nähme.

Immerhin stamme es doch vom gleichen Tier, oder nicht?
Oh je, da gerieten seine Vormünder tatsächlich in arge Erklärungsnot. Aber wie es den Menschen zu eigen ist, suchen sie die Fehler oder Ursachen freilich nicht bei sich selbst, sondern in der heillosen Flucht nach vorne beziehungsweise außen. Dafür ist die Welt schließlich da.

Fehler

In der Fachliteratur nennt man diesen unheimlichen Vorgang „Projektion“.
Folgerichtig waren Zumras Eltern aufrichtig und standhaft davon überzeugt, dass mit ihrem Zögling unzweifelhaft etwas nicht stimmen könne.

Wohlan, Zumra war anders als andere Kinder, und ihm wurde eine mysteriöse Krankheit nach der anderen diagnostiziert und mit allerlei Mittelchen und Medikamenten behandelt, aber die untröstliche Wissenschaft jener Tage stand wahrhaftig vor einem gestandenen Rätsel.

Gravitätisch

Ja, vor lauter Sorgen wurden die armen Eltern selber ganz krank, weil sie dem üblen Leiden ihres Kindes weder Herr noch Frau zu werden wussten; und was soll nur aus ihm werden mit all diesen Flausen und sonderlichen und abartigen Gedanken in seinem jungen, unerfahrenen Dickschädel?

Derweil litt Zumra lediglich an Empathie, jenem sehnsuchtsvollen und gravitätischen Weltschmerz einer Gesellschaft gegenüber, die höchstselbst! krank und verzogen war und ist.

Anderer Weg

Doch wie es ihm zu eigen war, suchte er den Fehler oder die Ursache nicht bei Anderen, sondern lediglich bei sich selbst, und versuchte mit aller Macht und Gewalt, sich gütlich anzupassen und zu einem vorbildlichen Teil der Gesellschaft zu werden.
Aber ach, eine innere Kraft oder Stimme oder Gott drängte ihn auf einen anderen Weg, zog und zerrte, bis er meinte, es müsse ihn in der Luft zerreißen!

Fort

Sie drängte ihn dazu, seinen Ideen von Gerechtigkeit und einem gesunden, glücklichen und bereichernden menschlichen Miteinander treu zu bleiben und für sie ein- und gradezustehen, komme denn, was da wolle.

Da er sich aber weder zerreißen konnte noch wollte, mündete dieser Zustand in seinen folgenschweren Entschluss, mit nur dreizehn Jahren von zu Hause fortzugehen und nach gleichgesinnten Menschen zu suchen, die bereit waren, mit ihm ein anderes, vielleicht sogar ein besseres Leben zu leben.

Blätter

Dabei hatte er nichts, kein Geld, nichts zu essen, keine Freunde, nicht einmal eine ordentliche Ration Chat, und er schlief tagein, tagaus, zur Regen- wie zur Trockenzeit draußen in der Wildnis, wo er indessen fast verhungerte.
Niemand, keine einzige Seele schien diesem armen, verlorenen Sohn auch nur zuhören zu wollen, außer den Blättern im Wind, denen es ähnlich zu gehen schien.

Schwelle

Am Ende trieb ihn die schiere Not wieder nach Hause in die Arme einer hilf- und verständnislosen Verwandtschaft, und wieder unternahm er atlantische Anstrengungen, sich doch noch einzufügen. Ja, er nahm sich sogar eine Verlobte und heiratete sie, so verzweifelt war er, sich und der Welt zu zeigen, dass er fürwahr dazu gehören und ein ehrbarer Teil in einer ehrlosen Welt sein könne.

Aber selbst dieser letzte Schritt tat die erhoffte Wirkung nicht.
Seine Vorstellungen von einer schönen, neuen Welt wollten und wollten nicht aus seinem Kopf und marterten ihn, bis er schließlich nicht umhin konnte, erneut auszuziehen.
Der Schöpfer in ihm schien ihn da doch nicht so leicht von der Leine lassen zu wollen.

Last

Joch

Gesellschaft

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