Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Heiligs Blechle…
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Es fällt mir rechtschaffen schwer, das Erlebte auch nur annähernd zu beschreiben.
Ich kam mir vor wie in einem märchenhaften, vergessenen Teil unserer Welt, denn vor mir breiteten sich tief eingeschnittene Talkessel aus, umringt von machtvollen Flanken aus Erde und Gestein. Ein Ort wie in einem elysischen und verheißungsvollen Land vor unserer Zeit.
Auch da waren die Berghänge mit Terrassen, Gärten, Dörfern und Siedlungen überzogen, ständig passierten wir Ortschaften mit quirligen und überfüllten Märkten, bunte Gewänder flatterten aufgeregt im böigen Wind. In der Gegend schien es eine völlig neue bajaj-Art mit dem unheilvoll klingenden Namen „Force“ zu geben.
Ja, und zum ersten Mal in meinem Leben wurde ich der grau betonierten Baustelle eines islamischen Gotteshauses gewahr, einer halbfertigen Moschee. Sieht man auch nicht alle Tage.
Der Bus ächzte die Berge hoch in engen und immer engeren Serpentinen und unter haarsträubenden Überholmanövern, aber das störte den Busfahrer freilich nicht, der war viel zu sehr damit beschäftigt, zu telefonieren und „Chat“ zu konsumieren. Folgerichtig klammerte ich mich leicht verkrampft an den Haltegriff am Seitenfenster, meine Hand roch zusehends nach altem Eisen.
Das wiederum ist der Nachteil an der Prime Location. Man bekommt nämlich alles mit, mitunter auch Dinge, die sämtlichen Gesetzmäßigkeiten der Raumzeit zuwiderlaufen. Man benötigt demnach eine kerngesunde Portion Urvertrauen, um solch eine Fahrt zu überstehen, ohne wahnsinnig zu werden und sich vor lauter Angst zu einem Königsberger Klops zusammenzuknüllen.
Wie überall in solchen Ländern galt auch dort die Regel: Platz ist auf der schmalsten Spur.
(Für meine Oma: Eine derartige Leichtfertigkeit würde ich selbstverständlich niemals begehen! Stattdessen nahm ich wie sonst auch den Zug. …Was ich auf der Rückfahrt nach Addis im übrigen auch tat.)
Außerdem wusste ich aufgrund der Mannigfaltigkeit an gläsernen Sichtmöglichkeiten nicht mehr, wohin ich meine Kamera zuerst richten sollte; das war so ähnlich wie während der Zugfahrt in Zimbabwe.
Hier eine atemberaubende Kehre, dort ein liebliches Gebirgstal… Wie ein Rennfahrerpilot stemmte ich mich in die Kurven und versuchte trotz alledem heroisch, meinen Touristenrevolver im Wasser zu halten.
Als der von chronischem Siechtum befallene Akku, der dem natürlichen Lauf der Natur folgend schon längst hätte ausselektiert werden sollen meiner Meinung nach, letzten Endes in die Knie ging, warf ich die Sony undankbar und achtlos in eine Ecke meines Rucksacks und hackte fürderhin auf mein Smartphone ein, bis auch dieses japsend in den Seilen hing.
Es war einfach zuviel.
Ich hätte wie eine indische Gottheit sechs Arme mit je einem digitalen Lichtspeer oder die Tentakelarme eines Tintenfisches gebraucht, um diesem hinreißenden Schauspiel Genüge zu tun.
Herrschaft, wieso kann man eigentlich dorten nicht wandern? Im Gegenteil, jener Himmel auf Erden fand im Reiseführer nicht einmal Erwähnung!
Wenn die Übersichtskarte (beim Lonely Planet immer so eine Sache) auch nur halbwegs korrekt war, dann müsste es sich um die „Chercher“- bzw. „Arba Gugu“-Kette gehandelt haben.
Jedenfalls war es beinahe ein Segen, als endlich der Vorhang der Dunkelheit fiel und gnadenvolle Nacht hereinbrach…
Wenn man die Stolperschwellen, die kurzen ungeteerten Abschnitte und nicht zuletzt den gesenkt gehenkten Fahrstil jenes Chat-Junkies (ein sog. „Chankie“) in Betracht zieht, kann ich sagen, dass dies ein famoser Gewaltakt war, für den ich alle meine Kräfte aufbieten musste, um standzuhalten.
Aber schließlich bin ich in derlei Dingen geübt und habe mittlerweile gelernt, Energie direkt aus meiner Umgebung aufzunehmen.
In Wirklichkeit feierte ich die Fahrt durch diese Traumwelt ziemlich hart.
Ich will gar nicht wissen, was in den Köpfen meiner Mitfahrer vorging, als sie zusehen mussten, wie ich abwechselnd meine technischen Gerätschaften sowie Stift und Papier fürchterlich malträtierte.
Worte wie „Freak“ oder „Irrer“ müssen da noch harmlos erscheinen.
Denn einige Ideenfetzen musste ich sogleich festhalten, da parallel zu dem visuellen Gewitter jenseits der Fensterscheiben in meinem Kopf ein Brainstorm tobte wie damals im Museum Lichtspiele.
Whoahahahaa…
Das ist eben das Geniale am Reisen. Ohne damit auch nur im Geringsten zu rechnen, wird man ruckzuck überrumpelt, und bevor man weiß, wie einem geschieht, fallen einem die durchtränten Augen aus den Höhlen.
Nach fünfzehn beinharten Stunden auf dem kochenden Asphalt erreichte ich gegen zehn Uhr abends endlich das viel besungene Harar und ließ mich erschöpft in das erstbeste Hotelbett fallen. Nicht jedoch ohne zuvor zwei überteuerte bajaj-Fahrten getätigt zu haben, weil ich mich nicht auskannte und mir jene Ecke der Stadt um die Zeit weniger als koscher vorkam.
Da zwei andere Läden ausgebucht waren, landete ich ironischerweise ganz in der Nähe meines Ausgangspunktes, wo mich der kotzende Bus hingepflatscht hatte. Ich fragte den Driver nach seinem Namen, aber er hieß erstaunlicherweise nicht Murphy.
Vom Badezimmer hielt ich mich jedoch fern, denn das stank ganz erbärmlich nach verrottender Kloake. Aber für die eine komatöse Nacht war mir das herzlich Latte, und zum Ausgleich wurde ich am nächsten Morgen mit einem schönen Sonnenaufgang über den Wellblechdächern der Stadt belohnt.
Ich war also tatsächlich in Harar, direkt vor den Toren seiner berühmten Altstadt Jugol. Aber das gehört in ein anderes Kapitel.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht