Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Lausbubengeschichten…
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An jenem Tage unternahm ich eine königlich kalte Kübeldusche, nachdem ich mich eingehend versichert hatte, dass es bei der Trockenheit keine Probleme aufgrund von Wasserknappheit gäbe. Ein weiteres interessantes Feature dort oben bestand in einer Tasse frisch gemolkener, sämiger Kuhmilch, die vollkommen rein und unbehandelt – und zunächst etwas zaghaft – meine erstaunte Kehle hinabrann.
Ich muss sagen, so direkt vom Euter schmeckt das Zeug ganz schön befremdlich, man ist das ja nicht mehr gewohnt in einem Land, wo paranoide und haltlos überdrehte Hygienevorschriften höher in Ehren gehalten werden als gesunder Menschenverstand.
Tatsächlich fiel des Abends in der Bale-Region ein wenig und mithin der erste Niederschlag seit meiner Ankunft in Äthiopien, aber die armen Tropfen hatten noch weniger Zeit, sich ihrer selbst bewusst zu werden, als der Wal. Aber es regnete immerhin genug, so dass noch immer ein paar kleine Rinnsale aus den Bergen ins Tal flossen.
Obwohl ein herrlicher Tag hinter mir lag, schlug meine Stimmung bei Einbruch der Nacht unversehens um, ich fühlte mich ungehalten, genervt und aus irgendeinem Grunde deprimiert. Ich weiß es wirklich nicht, ich kann es nur meiner Müdigkeit und der einsetzenden Kälte zuschreiben, die sich an jenem Abend um einiges empfindlicher zeigte als am Tag zuvor.
Dabei hatte ich doch eben Energiearbeit geleistet und mein Prana verarztet!
Hmm, vielleicht war das dann doch zuviel des Guten, obwohl ich mich danach wie sonst auch erfrischt und ausgeruht fühlte. Wer weiß, vielleicht bin ich subtil irgendwo in den falschen Meridian abgebogen.
Obwohl Angafu kaum höher lag als Wahoro, wurde es in der Nacht dermaßen frostig, dass ich mich so nah wie möglich ans Feuer schob, ohne im Hergang eine Rauchvergiftung zu erleiden. Zugegeben, der Ort lag auf einer offenen Anhöhe, über die mit ungehinderter Härte ein fieser Eiseswind pfiff; der Preis für die erhebende Aussicht ins Tal und hinüber zu den Drei Königen.
Auch unsere Unterkünfte erschienen um einiges windiger als die gemauerte Einsiedelei von Wahoro. Der lückenfrohe Holzrahmen der unfertigen Hütte war lediglich mit Plastikplanen abgedeckt, und oben im Giebel war Polen sperrangelweit offen.
Obwohl ich unter drei Decken lag, fiel ich in einen sehr unruhigen Schlaf und wachte oft auf, weil mir kalt war und ich mein Arrangement neu arrangieren musste, eine rechte Qual so schlaftrunken und missgelaunt. Eigentlich wollte ich zuvor noch etwas lesen, aber auch nur die Nase unter meinem Kokon hervorzustrecken, überstieg meine kühnsten Vorstellungskräfte.
Demnach verbrachte ich eine ungemütliche Nacht, und wie war ich froh, als die ersten Sonnenstrahlen meinen bibbernden Körper wach küssten und erwärmten. Freudig begrüßte ich unseren hellen Stern im Rahmen meiner morgendlichen Yoga-Routine.
Die Kinder des anliegenden Bauernhofs schauten vielleicht etwas weniger verdattert und entgeistert drein als am Tag davor, als ich im Schneidersitz auf der Wiese saß und scheinbar konfus und willkürlich mit meinen Händen in der Luft herum fuchtelte, während ich mich in meinen neu erworbenen Kenntnissen der Prana-Heilung übte.
Nach einer hinreichend notwendigen Ration Haferbrei und Kaffee sagte ich dem schönen Ausblick Lebewohl, und wir stiegen weiter durch den entrückten Wald mit seinen zotteligen Bärten nach oben, bis wir erneut ein Hochplateau erreichten, übersät mit Heidekraut und einigen Strohblumen dazwischen.
Die Sonne brannte nun mit ungehinderter und unbarmherziger Wucht, doch blies zur gleichen Zeit ein klirrend frischer Wind, der die ärgste Glut zu lindern vermochte.
Immer wieder kamen wir an kohlschwarz verbrannten Flecken Erde vorbei.
Als ich Ismail danach fragte, meinte er, dass ein Parasit daran Schuld sei. Die Bauern sähen sich gezwungen, die befallenen Erika-Pflanzen zu verbrennen, damit die Kühe sie nicht mitsamt dem Schmarotzer fräßen, welcher sich daraufhin feist und gediegen in ihren zahlreichen Mägen einzunisten und sie langsam von innen auszuzehren pflegte.
Das ginge oftmals so weit, dass die armen Viecher am Ende notgeschlachtet werden müssten.
Dann doch lieber das Kraut opfern, das mit der kommenden Regenzeit sowieso wieder nachwächst. In der Tat schien es in der Gegend vielmehr wie Unkraut zu wuchern als jetzt vom Aussterben bedroht zu sein.
Die Stille war beinahe greifbar, was den Windböen nicht zu gefallen schien, denn sie fauchten ungehalten und immer lauter.
Wir machten kurz vor einer weiteren Senke Halt, in deren Mitte sich wie eine Schildwache zwei scheinbar kreisrunde Hügel erhoben, und meine Augen schnalzten entzückt mit den Wimpern.
Nach dem Lunch verzog sich Ismail wie jeden Tag zum Beten; wie bereits erwähnt gehört die Region zum Oromiya-Gebiet, und die Mehrheit der Leute dort sind Muslime.
Sobald er fertig war, stiegen wir hinab in diesen anmutigen Kelch aus hellem Gras und kräftiger, schwarzbrauner Erde.
Sodann wurden wir von einer ganzen Wiese aus jenen zuckerhübschen Lobelien begrüßt, weiter drüben grasten zahlreiche Pferde, die der Szenerie einen Schuss wilde Romantik hinzugaben und meine Geister geradewegs berauschten. Am liebsten wäre ich auf einen weißen Schimmel drauf gehechtet und in gestrecktem Galopp ab bis über den Horizont hinüber zum Berg Meru!
Stattdessen wanderten wir bescheiden und leise bis zum Ende des kleinen Talkessels, wo ich dann aber wirklich kurz das Gefühl hatte, über den Rand der Welt zu blicken. Just über diesen Gebirgssattel stiegen wir wieder hinab ins Tal, vorbei an Gehöften und gilfenden Kindern: „Ferenji! Ferenji!!“
Das Wort stammt im übrigen von einigen Portugiesen und Spaniern, die wohl als erste europäische Massenware im 16. Jahrhundert nach Äthiopien kamen, vermutlich um ihnen in ihrem Kampf gegen die vorrückenden Araber beizustehen. Angeblich bezeichneten sie sich selbst als „Francos“. Nicht wegen dem Diktator, der kam erst später, nach den Arabern, sondern weil sie von den Franken oder Franzosen abstammten.
Jener Begriff nun wandelte sich mit der Zeit zu dem berüchtigten Ausruf, der mir auf dem Dach Afrikas allenthalben entgegen schlug und wie der heulende Wind emsig an meinem flatternden Nervenkostüm zerrte.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht