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Also sind wir im Gänsemarsch da hinunter gewatschelt und querten einige Hügelkuppen, durch deren dichtes Blätterdach sich ein paar Sonnenstrahlen schlichen und den Waldboden goldgelb sprenkelten.
Doch dann traten wir unversehens auf eine bezaubernde Lichtung, der Tag brannte sich auf einmal mit unverminderter Härte in unsere Netzhaut, so dass wir eine Zeit lang stehen bleiben mussten, um den Ausblick auf eine baumbestandene Wiese zu genießen. Vor meinem inneren Auge würde sie einen ganz hervorragenden Obstgarten abgeben.
Leider befand sie sich nicht mehr auf dem Grundstück des Schamanen, aber was nicht war, kann ja noch werden. Auf jeden Fall habe ich ein Auge darauf… zwei, so oft ich sie entbehren kann.
Auf der nächsten Hügelkuppe bogen wir an einem knorrigen, alten Wächterbaum ab und wanderten nun schnurpfeilgerade nach unten ins Tal, die Luft wurde bereits merklich wärmer und dicker.
Doch nicht weit, und uns erwartete schon die nächste angenehme Überraschung, denn wir fanden uns in einem wahrhaftigen Feenwald wieder, wo ich mich mächtig umschauen musste, weil ich meinte, überall Elben durchs Unterholz huschen zu sehen.
Die Bäume um und uns waren über und über mit Flechten bewachsen, die wohl eine Art natürlichen Luftfilter darstellen. Durch und durch magisch war dieser Anblick; die Vorstellung, irgendwo dort oben im Geäst ein Baumhaus hinein zu hängen, ließ mir das Herz überlaufen.
Aber das wäre am Ende vielleicht doch zu aufdringlich. – Schade, aber solche Schönheit sollte man in der Tat lieber in Ruhe lassen, wenn man denn möchte, dass sie in jener hinreißenden Form erhalten bleibt. Nach allem, was ich bis dahin sehen und erfahren durfte, waren das mit Abstand die baumbärtigsten Baumbärte, die mir auf meinen Reisen je begegnet sind.
Ich muss es noch einmal sagen: Wenn da drin nicht heimlich irgendwo Waldelfen oder Gnome wohnen, dann will ich Gebratene Gans heißen und lasse mich von Hinz und Kunz verspeißen, denn dann war und ist alles umsonst, bis in die letzte Sprosse von Diogenes’ Fass sinnentleert und nicht der Rede wert.
Dann kann sich das Universum von mir aus auch gleich auf der Couch verleideter und verworfener Ansätze zusammenfalten und sagen: „So, Feierabend. Was läuft in der Glotze? Mpf, wieder nur Müll. Naja, besser als Kunstdünger rauchen.“
Doch ich wurde jäh aus meinen sonderbaren Tagträumen gerissten, als wir endlich auf eine Schotterstraße trafen und es bedeutend weltlicher wurde. Mpf. Noch ein paar Biegungen, und schon hielten wir unsere heißgelaufenen Füße ins wunderbar kühle Nass der beiden Flüsse, die sich genau an der versprochenen Stelle vereinten.
Die Pyramide hatten wir glatt übersehen. Aber das wussten wir zu dem Zeitpunkt noch nicht und suchten vergeblich hin und her nach einer etwas zu gleichförmigen Erhebung und hielten verwirrt Ratschluss, aber am Ende machten wir uns geschlagen und ein bisschen enttäuscht auf den Heimweg.
Ein deutsches Pärchen aus dem schönen Tübingen kam uns da entgegen, die sich ebenfalls auf Wanderschaft und auf der Suche befanden, aber sie waren genauso unschlüssig wie wir und konnten uns nicht weiter helfen.
Wie innen, so außen.
Das hätte auch niemals funktioniert, denn sie waren in Wirklichkeit auf der Suche nach etwas ganz anderem, nämlich, zwei Wasserfällen, aber während unseres annehmlichen Gesprächs kam interessanterweise keine der beiden Seiten damit heraus, wonach es sie eigentlich begehrte. Wir gingen einfach allesamt davon aus, dass wir ja eh das Gleiche im Sinn hatten. — Wie innen, so außen.
Wir mussten also ganz herzhaft lachen, als wir der Sache etwas später bei einem Wiedersehen mit den beiden schlussendlich auf den Grund gingen:
„Ach echt, habt Ihr die Pyramide noch entdeckt?“
„Was für eine Pyramide?“
Naja. Zu guter Letzt wurden wir doch noch und gänzlich unverhofft für unsere Mühen belohnt, denn auf dem Rückweg standen wir plötzlich wie vom Blitz getroffen davor und meinten einhellig, das muss sie sein! Auf dem Hinweg waren wir in der Tat geradewegs daran vorbeispaziert; anscheinend war nicht nur ich in einem mondäugigen Tagträumer-Modus versunken.
Es war ja auch nicht wirklich offensichtlich, und es gab doch noch vereinzelt Zweifel unter einigen von uns, aber ich bin da mal hinaufgestiegen, und von da oben sah es also schon so aus, als ob der Hügel nach allen vier Seiten in etwa gleichmäßig abfiel. Aber wenn man es so sieht, muss man schon einigen guten Willen gebrauchen, um das Ganze in der Form abzunicken.
Angeblich besteht an ihrer wahren, pyramidigen Natur jedoch kein Zweifel, das wurde sogar von einem Anthropologen rundheraus so bestätigt, und der muss es immerhin wissen, schließlich ist er Wissenschaftler.
Am Ende waren wir uns demnach wieder einig, dass es sich nur um eines dieser uralten, mysteriösen Bauwerke gehandelt haben konnte. Wir verfielen sogar in eine kleine Hybris, denn genau daneben, quasi auf der anderen Flussseite gab es noch einmal so ein unwahrscheinlich, gleichseitig erscheinendes Ding, das nach unserem Dafürhalten nie und nimmer! eine natürliche Formation darstellen konnte.
Kein Zweifel, die alten Zapoteken hatten nämlich gleich zwei Pyramiden dahin gestellt, wie so eine Art megalomane Pforte in die Berglandschaften von Oaxaca.
Mei, why not.
Und ähnlich wie damals auf den alten Handelswegen gab es stets ein reges Kommen und Gehen in unserem Pionierscamp: Leuten reisten an und wieder ab, besuchten uns oder tappten rein zufällig in die Flower-Falle.
Gegen Ende der zwei Wochen wurden es aber immer weniger, bis zum Ende hin auch der letzte harte Kern seine sieben Sachen packte und hinunter an den Strand machte: zurück in die gehasst geliebte Zivilisation.
Zu diesen Haudegen zählte ich mich selbstverständlich dazu, denn es ist ein hehrer Brauch sowie ein unverbrüchlicher, nicht mehr weiter teilbarer Splitter meiner Essenz, dass ich, egal, ob am romantischen Lagerfeuer oder im dunkelsten Eck einer zwielichtigen Spelunke,
Dass ich immer zu den Letzten gehören muss, die die Stellung halten, auch und gerade wenn die Gravitation meines Dickkopfes damit anfängt, das Raum-Zeit-Kontinuum der Tischkante bis hin zum Punkt ohne Wiederkehr zu krümmen.
Man konnte ja schon froh sein, sie nach einem weiteren, unvermeidlichen Klogang wiederzufinden. – Aber so war und so bin ich: bloß nichts verpassen!
Ich halte Wache und Ausschau bis zum bitteren Ende, und wenn es sein muss, gehe ich wie ein guter Kapitän mit dem ganzen Gelage unter.
Hauptsache, der Rum ist nicht alle.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht