Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Verkehr-te Welten…
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Es war mir zuvor bereits aufgefallen, wie stark die einzelnen Waggons auf den altgedungenen Schienen wackelten und hüpften, doch spürte ich die volle Wucht des quietschenden Wiegenpendels erst, wie ich oben auf meiner Pritsche lag und beinah Angst hatte, dass irgendwann der kritische Punkt erreicht sein und das ganze Ding unter seinem schicksalhaften Momentum vollends zur Seite kippen würde.
Manche Stöße ließen meinen Körper ungelogen waagerecht nach oben schnalzen, was das Einschlafen in einen schluckaufigen Spießrutenlauf verwandelte. (Es tut mir so leid, Oma!)
Spät in der Nacht wurden wir von Koko geweckt (Déja-vu?), der sich bis dahin so rührend um uns gekümmert hat, dass es uns fast schon peinlich war. Ganz erschrocken und außer sich stand er da in der Tür und starrte uns fassungslos an, rieb sich noch einmal schlaftrunken die Augen, um sich zu vergewissern, dass es auch wirklich die Wahrheit sei…
Starrte uns wieder an – und rannte wie von der Tarantel gestochen davon!
Hm. Gegen zwei Uhr sollten wir unser Ziel Naba erreichen. Es war kurz vor Drei. Hatte der arme Tropf etwa vergessen, uns zu wecken?
Ergeben wälzte ich mich auf die andere Seite: was sein wird, wird sein.
Etwas später hielten wir für eine ungewöhnlich lange Zeit. – Auf einmal Aufruhr! Vier, fünf Schaffner, unter ihnen ein völlig aufgelöster und trostloser Koko, und sie gestikulierten heftig schnatternd wie ein aufgescheuchter Entenhaufen.
Es musste schnell gehen. „-gähn- Sind wir da?“ – „Yesyes!!“
In Windeseile packten wir unser Zeug und ließen uns unter viel Burmesisch auf den Bahnsteig treiben, dort standen wir etwas verloren und wussten nicht, was als Nächstes passieren würde.
Dann: das lang gezogene Hupen eines entgegenkommenden Zuges. Wie Schuppen fiel es von unseren verkrusteten Lidern: wir waren tatsächlich zu weit gefahren.
Erneut gestikulierten die Burschen besorgt und wie wild in der Schwärze mit ihren Taschenlampen nach dem entgegen stampfenden Lokomotivführer, um ihren Fehler wieder auszubügeln. Wie Legehühner wurden wir in Windeseile in ein leeres Abteil verfrachtet, und die Reise ging in die Gegenrichtung weiter.
Gegen sechs Uhr am Morgen schließlich erreichten wir ziemlich verstört unser Etappenziel, wo bereits emsige Tuktuk-Fahrer auf uns warteten, die uns weiter nach Katha bringen sollten.
…Um zwei Uhr nachts wäre dieser letzte Wechsel wohl nicht so reibungslos abgelaufen. Ob es vielleicht doch Absicht war vom Universum?
Die Landschaft hatte sich deutlich gewandelt, vor allem in vertikaler Richtung. Wir waren umgeben von bleichen Hügelketten, an die sich die nebelverhangene Morgenlandschaft schmiegte, doch das nahm ich nur am Rande meines übermüdeten Bewusstseins wahr.
(Was mein Rückenmark natürlich nicht davon abhielt, meine Finger ein paar Mal auf den Auslöser meiner Kamera drücken zu lassen.)
Deutlich jedoch spürte ich den kalten Wind der Abgeschiedenheit, der mir scharf und verheißungsvoll ins Gesicht schnitt.
Die Minibus-Fahrten zwischen Mandalay, Bagan und Inle erschienen dagegen recht ereignislos bis auf die Tatsache, dass unsere Fahrer auf den dicht bewaldeten Serpentinen in und aus dem Shan-Hochland wie gesenkte Säue gefahren sind.
Da war es doch beruhigend zu wissen, dass zumindest einer von denen seit 25 Jahren unfallfrei fuhr. (Und nur Gott allein soll wissen, wie zum Henker der das angestellt hat.)
Nur ein kleines Detail fand ich merkwürdig und belustigend. Während der Mittagspause in einer Raststätte an der Straße musste ich naturgemäß auf den Abort. Das war auch gar nicht schwierig, weil ein Schild mit einem Pfeil mir den Weg wies, auf dem in großen, freundlichen Buchstaben geschrieben stand: „Usual person and tourist only.“
Die Burmesen mussten auf das andere. — Wir diskutierten stundenlang, aber wir sind nicht drauf gekommen, wer oder was um Himmels willen eine „usual person“ sein könnte.
Und ich sage Euch, an dieser monumentalen Anlage könnte sich so manches deutsche Autobahn-Silo eine gehörige Scheibe abschneiden oder fünf!
Weiß geflieste Hallen glitten um makellose, zart geschwungene Pissoirs und verströmten eine derart besinnliche Aura, dass sie jenen Ort in eine Oase der Einkehr und Konzentration verwandelte. Dezent und durch geschmackvolle Türen abgetrennte Schreine eigneten sich wiederum vorzüglich für langfristigere Retreats zur Tiefenreinigung von Körper und Seele.
Interessanterweise war die Trennwand zwischen Männlein und Weiblein nicht ganz bis zur Decke gezogen. Aus diesem Grunde jedoch wurden von einem umsichtigen – oder leidgeprüften – Geist Glasscherben auf die Oberseite gespachtelt, wie man sie oft vor Nobelabsteigen und Regierungsgebäuden sieht.
Es sind eben doch auch Menschen; da können sich unsere lieben Neonazis noch so sehr ihre polierten Glatzen raufen. Reiben? Egal, ohne Sinn und Verstand halt.
Unsere letzte Fahrt brachte uns schließlich durch die Lüfte zurück nach Bangkok und setzte unserer bezaubernden Reise ein jähes Ende. Wir hatten ein bisschen Angst vor den Sicherheitskontrollen, weil sich jeder von uns mindestens vier oder fünf traditionelle Shan-Messer und -Macheten in allerlei Formen und Varianten gekauft hatte. (Fragt nicht.)
Die Boys dort waren aber recht easy, solange wir sie nicht eben ins Handgepäck packten: „For kitchen!“ – Langsames, zweifelndes Nicken. Aber mal ehrlich, für Terroristen wären wir viel zu entspannt. Und zu langsam.
Dann saß ich im Flieger und dachte: Das war zu kurz. Das war viel zu kurz!
Wieso kann man sein Visum in dem Scheißland nicht verlängern??
Okee, man kann für drei Dollar am Tag ein bisserl überziehen, ohne groß Probleme zu kriegen, aber das ist nicht einmal ein Tropfen auf den siedenden Stein.
Gerne, oh wie gerne!, wäre ich noch viel tiefer vorgedrungen, aber dafür ist die Zeit in solchen Gegenden dann doch zu relativ.
Ich glaube, die Relativität selbst würde sich im Vergleich dazu wie eine universelle Konstante vorkommen. – Zu mathematisch? Hm.
Und wenn ich der Don Quijote eines von Gehirnzellen entstaubten Hillbillie-Wüstenkaffs gewesen wäre! Ich wäre es zufrieden gewesen, verdammt nochmal.
Allein noch eine Weile unter diesen wundervollen, ursympathischen und auf ihre einzigartige Weise echten und freundlichen Menschen sein zu können, hätte mein Herz auf Jahre geheilt.
Aber nein. Der Staat sagt, daas geht nicht. – In solchen Momenten denke ich mir, dass man sämtliche Grenzen endlich niederreißen, alle Pässe dieser Welt verbrennen und jeden Zollbeamten BIS-AUF-DEN-LETZ-TEN! mit falsch datierten Stempeln foltern sollte.
Aber sowas in der Art haben wir vor achtzig Jahren schon einmal probiert.
Hat nicht geklappt.
…Hey Staat hey Staat hey Staat! Hey Staat hey Staat hey Staat! Und dann sog I dir moi, wos DU ois bist für mi!
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Bitte umblättern: Taxi!…
(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht