Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Harter Einstieg…
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Die Bandstimme an der Eingangstür des Soul Kitchen empfing uns mit einem lebensbejahenden „Otkruita!“ (Offen), und wir brachen glücklich auf dem opulenten Sofa ihres Aufenthaltsraumes zusammen. Nachdem wir in unser Zimmer eingecheckt hatten, holten wir noch etwas Schlaf nach, denn beide Flüge waren zu kurz gewesen, um auch nur ein wenig dösen zu können.
Zunächst wollten wir von München beziehungsweise Wien aus standes- und ordnungsgemäß mit dem Zug nach Sankt Petersburg fahren, denn Thema unserer Reise war nun einmal eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn durch die Steppen Zentralasiens bis nach Beijing, und für uns zählte das freilich von der Haustüre weg.
Da jedoch die Lage in den dazwischen liegenden Regionen nicht sehr vertrauenserweckend wirkte, hüpften wir stattdessen einmal drüber. Gut, man hätte der Umwelt sowie der Form halber auch außen herum über Skandinavien fahren können, aber das erschien uns dermaßen übertrieben, dass wir auf die Idee gar nicht kamen.
Tut mir leid Oma, aber unser Zeitplan war so schon straff genug.
Gegen drei Uhr am Nachmittag, nach unserem bleiernen Nickerchen nahmen wir unsere Umgebung also zum ersten Mal bewusst wahr. Das Fenster unseres urgemütlichen Twin-Zimmers öffnete sich zu einem adretten Kanal, eingerahmt von herrschaftlichen Gebäuden aus dem 19. Jahrhundert. Auch das Hostel war in einem solchen untergebracht.
Eigentlich bestand die ganze Altstadt Sankt Petersburg nur aus Prachtbauten, erweckte tatsächlich eher den Eindruck einer altehrwürdigen europäischen Residenzstadt als von einer russischen Metropole mit klischeehaften Blockbauten und war für mich in seiner Vertrautheit fast enttäuschend.
Denn Peter der Große ließ sein „Tor zum Westen“ im 18. Jahrhundert nach dem Vorbild Amsterdams erbauen; deshalb die Kanäle. Ansonsten erinnerte sie mich aber eher an ihr etwas kleineres Geschwister Wien, das wir einen Tag zuvor verlassen hatten.
Unser Tor in den Osten… ist das nicht reizend?
Erker an Erker, Türmchen an Türmchen reihte sich an bezaubernden Fassaden in bunten Pastelltönen entlang, soweit das blinzelnde Auge reichte. Vor allem der „Nevskij-Prospekt“, Alt-Leningrads pompöse Haupteinkaufsmeile, erschlug mich geradezu mit seiner Großartigkeit.
Zumindest war das so auf dem diesseitigen Ufer der mächtigen Neva (gesprochen: „Njeva“). Als wir an unserem letzten Tag ans andere Flussufer übersetzten, um uns die Peter-und-Pauls-Festung anzuschaun, bot sich uns ein etwas anderer Anblick.
Bis auf die zahlreichen Eisbader, die sich nach ihrer schaurigen Kur im Sonnenschein an der aufgeheizten Burgmauer aufwärmten, befanden wir das Trum jedoch als eher leidlich interessant und spazierten stattdessen lieber durch die süßen Gassen trum herum. – Ja, ich weiß. Das war beileibe nicht mein bester Wortwitz.
Auch um dem eisigen Wind zu entkommen, der trotz der prallen Sonne an einem makellosen Himmel unsere Knochen klirren ließ.
Die Gebäude dort erschienen mir immer noch imposant, aber halt weniger so in-your-face, und an manchen Stellen bröckelte pittoresk der Putz. In der Hood kam ich mir vor wie in einem Barcelona des Nordens, nur die noch pittoreskeren Wäscheleinen zwischen den Balkonen fehlten. Genauso wie die ansonsten durchaus zahlreichen Touristen.
Wie sie ließen wir uns die restlichen Tage durch die belebten Straßen und entlang der Kanäle der Innenstadt treiben und sogen die angenehme Atmosphäre dieser sonderbar vertraut wirkenden Stadt unweit der Grenze zu Finnland ein.
So führte unser Weg auch zu einem dekadenten Einkaufszentrum im eindrucksvollen Jugendstilgewand des „Gostijnijdvor“-Hauses (gesprochen: ???) und zum noch dekadenteren Feinkostgeschäft „Eliseev“, wo wir „Kvaas“ (ein traditionelles, mostähnliches Brotgetränk), „Sbitén“ (eine Art Honigwein) sowie Pfannkuchen mit Kaviar probierten.
Wenn schon Sodom, dann mit Stil und allem drum und dran.
„Gomorrha! Sei so lieb und bring uns noch eine Flasche Schampus, ja? – Nein, den guten, in der Fünf-Liter-Flasche. – Ja, genau, noch eine für jeden. Merci Dir!“
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht