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In der Küche

Ein paar Tage zuvor war mir ein Plakat in der Küche aufgefallen, welches eine Künstlerin bewarb, die Tattoos traditionell von Hand anfertigte. Und diese Künstlerin war eben jenes Mädel aus Belgien. Ihr seht, alles ganz unverfänglich und jugendfrei.

Seit längerem schon köchelten einige reizvolle Ideen in meinem Hinterstübchen, wie sich denn meine bereits bestehende Tätowierung möglichst effektvoll und hintergründig erweitern ließe.

Stolz

Damals in Thailand hatte ich ja schon versucht, einen Mönch ausfindig zu machen, der eine ähnliche Art der manuellen Technik beherrschte, und war kläglich und unsäglich gescheitert, da er die Frechheit besessen durfte, einfach aus Chiang Mai wegzuziehen!

Somit war ich dazu verdammt, mein Tattoo auf gewöhnliche und völlig unromantische Weise mit der Maschine stechen zu lassen. Wenigstens verstand der junge Kerl sein Handwerk und verlangte dazu einen sehr vorteilhaften Preis, so dass dies die allererste Tätowierung meines Lebens wurde, und ich war mächtig stolz: fühlte mich wie James Dean und Amy Winehouse, in einem potenziert und destilliert.

Gravitation

Aber nun erhielt ich endlich meine große Chance auf ein handgestochenes!
Das war so aufregend. Als ich unseren Schamanen nach dem Ausmaß ihrer Fertigkeiten und charakterlichen Integrität befragte, beschloss er sein leidenschaftliches und durchaus Vertrauen erweckendes Plädoyer mit der Bemerkung, dass sie wahrscheinlich eh zur Zeremonie kommen werde.

Destiny! Auf Anhieb erkannte ich die Wegmarkierung, riss mein inneres Ruder herum und machte mich sogleich an das Entwerfen einiger vorläufiger und dazu recht… kruder Entwürfe.

Grauen

In ihrem ästhetischen Anspruch mussten sie auf sensible Gemüter vor allem Furcht und Grauen erregend wirken, doch ich verweilte in der unschuldigen Hoffnung, dass sie es dennoch vermochten, der Künstlerin eine sachte Idee zu vermitteln, welche Elemente ich gerne in meinem Tattoo verarbeitet wissen wollte, vorausgesetzt, sie erblindete beim Anblick meiner Vorlagen nicht.

Auweh, ich sehe, wir nähern uns der Großvater-Zeremonie in sehr gemächlichen Schleifen. Immer enger werden sie und nähern sich langsam und behäbig ihrem Gravitationsbrunnen, wie eine Murmel, die beinahe widerwillig in einen Trichter kullert.

Lianenwerk

Aber jetzt wird es Zeit, dass ich den Bogen wieder spanne.
Aus oben genanntem Grund also freute ich mich und war selbst quasi doppelt gespannt auf den Abend.

Die untere Ebene des Tempels war von einer Steinmauer eingefasst, die wiederum dichtes Lianenwerk mit leuchtend grünen Blättern umfing. In seiner Mitte befand sich eine anständige Feuerstelle, um die herum vier bemalte Holzpfosten ihre Wache hielten und das Dach stützten.

Anständig

Nachdem wir es uns im Kreis ums knackende Feuer gemütlich gemacht hatten, begann die Zeremonie in gewohnter Manier unter Anrufung der vier Himmelsrichtungen mit ihren jeweiligen Qualitäten:

Der Osten steht für die Geburt neues Leben, für den Aufgang der Sonne, den Hoffnungsschimmer eines Neubeginns; der Westen dementsprechend für den Lebensabend, das Zur-Ruhe-Kommen und den nahenden Übergang.

Land der Träume

Im Süden dagegen flammt das Leben in seiner vollen Kraft und nährt das Feuer der Lust und der Sinnlichkeit, während im Norden die Geister der Nacht herrschen: es ist das Land der Träume und ein Ort der Einkehr und Meditation.

Sodann begrüßten wir nach oben hin Väterchen Himmel, seine Sterne und den Kosmos und beugten uns danach hinunter zur Erdenmutter, aus deren Stoffen wir alle gemacht sind und zu der wir letzten Endes zurückkehren werden.

Stoff

Ganz zum Schluss richteten wir unsere Aufmerksamkeit auf das Herz, die Mitte und die Quelle, aus der alles entspringt. Sie stellt die symbolische Pforte zu unserer angestammten Heimat dar, dem Urgrund all unserer Sehnsucht und all unseren Strebens.

Wow, ganz schön schmalzig, nicht wahr? Aber irgendwie auch geil. Ich steh’ drauf.
Nachdem die Medizin, dieses Mal in Form eines staubtrockenen, bitteren Pulvers, verabreicht wurde, lehnten wir uns entspannt zurück und lauschten den wunderlichen Klängen, die der Schamane des Nordens aus seiner alten Fidel hervorzauberte.

Durch die Nacht

Danach war mehr oder weniger „Open Mike“ für Lieder und Gesänge, für Gitarrenmusik und deren rhythmische Untermalung durch Trommeln und Rasseln, die uns wie stets durch die Nacht geleiten sollten.

Für diesen Zweck hatte unser eigener Schamane extra eine riesenhafte Trommel von einem Spezi anfertigen lassen, die sich wahrhaftig anhörte wie der Herzschlag der Welt und meinen ganzen Körper bis ins Mark hinein vibrieren ließ.

Ich selbst hielt es mit meiner Tradition und verließ mich auf (hoffentlich) lyrischen Sprechgesang, indem ich zur sich bietenden Gelegenheit ein kleines Gedicht in unser nebelhaftes Gewirk aus Schall und Rauch einflocht, welches wir mit unseren besten Grüßen in die Welt hinaus entsandten… Schazäämmm.

Abgrundtief

Am allerschönsten jedoch fand all das seinen Ausdruck am frühen Morgen, als der Tag schon leise dämmerte. Denn dann gab die Tattoo-Lady zusammen mit ihrem Freund aus Tabasco* eine ihrer abgrundtief magischen Einlagen, die sich für immer in mein Gedächtnis brennen sollten.

*Das stimmt wirklich. Tabasco ist nicht nur ein Würzmittel, sondern darüber hinaus der Name der Region, aus der es stammt. – Oder auch nicht, jedenfalls, egal, das heißt, Ihr könnt wieder mit unnötigem Wissen angeben.

Gewirk

Dabei erzeugte er auf einer sogenannten Wassertrommel Töne, die ich noch nie zuvor gehört hatte. Sie trafen mich wie ein silberner Pfeil und bewegten mich arg, schienen in ihrer fast schon sehnsuchtsvollen Eindringlichkeit mich an irgend etwas zu erinnern.

Sie begleitete ihn wiederum mit einer Stimme, die mir schier das Herz zerriss und die ich einfach nur als betörend und anklagend zugleich bezeichnen kann. Doch es lag auch ein nasaler, seltsam vorwitziger Unterton darin, so dass sie sich manchmal anhörte wie Schlumpfine aus den Zeichentricks.

Voll schräg! In jeder anderen Situation hätte ich mir das Lachen verkneifen müssen, aber in dem Rahmen und in der Kombination hat es mich auf der Stelle von der Stelle weggeblasen und hinein in eine völlig andere Dimension. Fffooaaahh!

Leuchtend

Großväter

Tempel

Quelle

Väterchen

Erdenmutter

Schamane des Nordens

Richtungen

Handwerk

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